1970 bis 1989 - Die Modernisierung der Baureihe 277


zurück zur Einleitungsseite Von der Wende bis zum Ende

Um 1970 hatten Planungen der Deutschen Reichsbahn, den Fahrzeugpark der Berliner S-Bahn zu erneuern, eine entscheidende Wendung erhalten: Der Beschaffungspreis für einen Neubau-Viertelzug lag mit rund 1,7 Millionen Mark etwa doppelt so hoch wie erwartet. Während einer Sitzung bei der Hauptverwaltung Maschinenwirtschaft erhielt deshalb das Reichsbahnausbesserungswerk Schöneweide am 2. April 1970 den Auftrag, eine Grobkonzeption zur Rekonstruktion der vorhandenen Fahrzeuge zu erarbeiten. Dabei waren zu berücksichtigen:

Plan 1

Plan 2

Auch wenn beide Pläne aus den 90er Jahren sind, verdeutlichen sie jedoch sehr schön die äußere Umgestaltung der Fahrzeuge.

1000 neue Drehgestelle und weitere bauliche Änderungen

In Zusammenhang mit dem Modernisierungsprogramm wurde der Austausch der Drehgestelle als besonderer Schwerpunkt erkannt. Eine Untersuchung hatte für alle Drehgestellarten einen erhöhten Ausbesserungsaufwand wegen Rissbildung, Materialermüdung und loser Niete ergeben. Die Situation war schon im Winter 1962/63 drastisch, als die Drehgestelle der Baureihe 167 bei strengem Frost serienweise Risse aufwiesen.
In einer Arbeitsbesprechung am 28. Januar 1971 wurde zwischen der Deutschen Reichsbahn und dem Herstellerwerk in Hennigsdorf übereinstimmend festgelegt, dass für die Ersatzdrehgestelle, die für die Baureihen 270 bzw. 280 vorgesehene Konstruktion mit geringen Modifikationen verwendet wird. In diesem Zusammenhang wurde auf die weitgehende Vereinheitlichung der Drehgestellrahmen besonderer Wert gelegt.

Die H-förmigen Drehgestellrahmen wurden in geschweißter Kastenträgerbauweise gefertigt. Sie bestanden aus zwei Langträgern, die durch einen Mittelquerträger verbunden waren. Dieser hielt die Konsolen für Motoraufhängung und Bremszylinder, die Stoßdämpfer und die Lenker der Drehzapfenlagerung. Für die neue Drehgestellbauart musste deshalb die Kugel-/Kugelpfanne-Kombination der alten ersetzt werden.

Plan 3

Nachdem das Berliner Bremsenwerk (BBW) als Nachfolger der Knorr Bremse AG in der DDR die Ersatzteilherstellung für den alten Luftverdichter VV 100/75 nicht mehr sicherstellen konnte bzw. die Verdichterproduktion einstellte, suchte man nach brauchbaren Ersatzlösungen, zumal für die neue Bremsanlage ohnehin ein neuer Luftverdichter benötigt wurde. Als dementsprechende Bemühungen mit der Volksrepublik Ungarn an Preisproblemen gescheitert waren, bot sich die Möglichkeit, den verwendungsfähigen Verdichter des Typs 7 C 1 von den Timpuri-Noi-Werken aus Bukarest (Rumänien) zu beziehen.

Die Drehgestelle wurden mit einseitigen Klotzbremsen ausgerüstet, bei denen jedes Rad einen eigenen Bremszylinder besaß und der Kolbenhub sich entsprechend der Klotzabnutzung selbsttätig nachstellte. Die Bremskraft wurde vom Zylinder direkt auf den Klotz übertragen. Ohne Gestänge war die Kolbenstange des Zylinders direkt mit dem Bremshebel und dem daran montierten Bremsklotz verbunden. Dieser Aufbau ließ aber nicht zu, durch Sichtkontrolle festzustellen, ob ein Bremsklotz gelöst oder angelegt war. Deshalb wurden separate Bremsanzeiger an den Kurzkupplungsenden der Wagen angebracht.

Für den Antrieb hatte man den alten Fahrmotor GBM 700 sowie den in Leistung und Maßen identischen neuen Fahrmotor GFM 3824 a 3 vorgesehen. Einen Schwerpunkt bei der Erprobung des Musterzugs bildete die Geräuschmessung. Zur Lärmminderung wurde ein um etwa sechs Grad schrägverzahntes Fahrmotorgetriebe verwendet - zuvor hatte man ausschließlich gerade verzahnte Getriebe genutzt.

Ein Musterzug aus unterschiedlichen Viertelzügen

Für den Musterbau wählte man 1973 zwei Viertelzüge der Bauarten 1935 (276 079/080, 276 083/084 - später 277 399/400 und 277 447/448) sowie je einen Viertelzug der Bauarten 1939 (277 337/338) und 1941 (277 273/274) aus, um die Vereinheitlichung der unterschiedlichen Zuggenerationen zu erproben. Nach vollständiger Entkernung und Sandstrahlung folgte der Austausch schadhafter Bleche und Trägerelemente. Die Außenform der modernisierten Wagen blieb noch unverändert. Erst ab 1976 sollten die modernisierten Züge die neuen zweiteiligen Stirnfronten erhalten, um mit Panoramafenstern den Triebfahrzeugführern eine bessere Sicht auf die Strecke zu ermöglichen. Zudem erhielten sie auch eine optisch-akustische Warnanlage.

Bhf Marzahn

Großsiedlung, Ikarus-Bus und Mod-Steuerviertelzug - Marzahn in den frühen 1980er Jahren.

Die Modernisierungsvarianten

1973 Musterzug Baureihen 276.0 und 277
1975 Serienumbau Baureihen 276.0 und 277dreigeteilte Stirnfront mit drei Fenstern, Warnleuchten auf dem Dach, Antennensockel
Erster Viertelzug 277 169/170, zweiter Viertelzug 277 307/308
November 1976 Serienumbau Baureihen 276.0 und 277zweigeteilte Stirnfront mit zwei Fenstern, Warnleuchten auf dem Dach, Antennensockel
Erste Viertelzüge 277 095/096 und 155/156
Ende 1976 Serienumbau Baureihen 276.0 und 277zweigeteilte Stirnfront mit zwei Fenstern, Warnleuchten auf dem Dach; ohne Antennensockel
erster Viertelzug 277 335/336
Mitte 1977 Serienumbau Baureihen 276.0 und 277zweigeteilte Stirnfront mit zwei Fenstern, Warnleuchten in der Seitenwand, ohne Antennensockel
erster Viertelzug 277 399/400

Die Erprobung der ersten 277mod-Viertelzüge

Die gesamte Erprobung des Musterzuges lief unter Federführung der Versuchs- und Entwicklungsstelle-Maschinenwirtschaft (VES-M) - Halle, die ein umfangreiches Erprobungsprogramm erstellt hatte, das sich in drei Abschnitte unterteilte:
1. Auswertung des Funktionsmusterbaus - verantwortlich RAW Schöneweide
2. Messtechnische Untersuchungen - verantwortlich VESM Halle
3. Betriebserprobung - verantwortlich Verwaltung der S-Bahn

Als am 4. August 1974 das 50jährigen Bestehen der Berliner S-Bahn gefeiert wurde (vier Tage vor dem Jubiläum), setzte die Reichsbahndirektion Berlin diesen Zug für eine Sonderfahrt von Grünau nach Alexanderplatz und weiter nach Bernau ein. Aus dem fahrenden Zug wurde die bekannte Radiosendung "7 bis 10, Sonntagmorgen in Spreeathen" moderiert.

Spreeathen

"7 bis 10, Sonntagmorgen in Spreeathen" im neuen mod-Zug.

Aufteilung und Ausstattung der Innenräume

Grundlegend verändert wurden die Fußböden in den Wagen. Die bislang verwendeten Bohlenfußböden aus Kiefernholz bedeuteten wegen Verschleiß durch Feuchte einen hohen Instandhaltungsaufwand. Mit Verbundplatten (einzelne, miteinander verleimte Holzstäbe mit Sperrfurnieren als Deckplatten) erhielt man materialsparende, gegen Feuchte unempfindliche Fußböden, die zudem den Schall isolierten.

Die Aufteilung der Fahrgasträume wurde verändert. In den Triebwagen entstanden durch die zu den Führerständen hin versetzten Trennwände vier zusätzliche Sitzplätze in üblicher 2 + 2-Aufteilung. Die Großabteile blieben von Dienst- und Traglastenabteilen durch eine Wand getrennt, und statt der bisherigen Drehtüren nutzte man nun Schiebetüren als Durchgangsmöglichkeit. Zwar boten die Traglastenabteile der Triebwagen nun etwas weniger Platz, dafür aber fanden sich auch in den Beiwagen Traglastenabteile, die auch als Mehrzweckabteile bezeichnet werden.

Die Fallfenster waren zwar weit zu öffnen und ermöglichten damit eine gute Belüftung der Fahrgasträume, doch brachte ihre Konstruktion Schwierigkeiten bei der Abdichtung mit sich, was in den Fensterbereichen der Wagenkästen zu Korrosionserscheinungen führte. Um dem zu begegnen, entwickelte das Reichsbahnausbesserungswerk Schöneweide neue Fenster mit aus Aluminiumprofilen gefertigten Rahmen, die zu etwa 80 Prozent feststehend, nur im obere Teil klappbar und nur in 45- bzw. 180-Grad-Stellung zu öffnen waren.
Die übrige Ausstattung der Inneneinrichtung in den Trieb- und Beiwagen blieb gegenüber der Rekonstruktion in den sechziger Jahren unverändert.

Änderungen der elektrischen Ausrüstung

Das Modernisierungsprogramm sah insbesondere vor, die elektrische Ausrüstung der Fahrzeuge zu überarbeiten. Hierbei legte man besonderen Wert auf den Austausch störanfälliger und künftig nicht mehr beschaffbarer Teile. Die Züge der Baureihe 276.0 erhielten statt der elektropneumatischen Steuerung wieder eine rein elektrische Steuerung, um sie den Zügen der Baureihe 277 anzugleichen. Die 24 Viertelzüge erhielten jedenfalls elektromotorisch angetriebene Klinkwerke mit Schaltwerken der Bauart 1927 aus den Wannseebahnzügen (275.9). Weil die Ansteuerung des Hauptschützes und des Richtungswenders weiterhin rein pneumatisch war, erhielten diese Wagen (277 407-454) die Bezeichnung E-Anlage II.

Fahrgastraum

Viel heller präsentieren sich nach der Modernisierung die Fahrgasträume - und sie wirken auch steriler.

Dagegen erhielten die Viertelzüge der Baureihe 167 (277 001-406) mit motorisch angetriebenen Schaltwerk und elektromagnetisch gesteuertem Hauptschütz und Richtungswender die Bezeichnung E-Anlage I. Züge mit unterschiedlichen E-Anlage konnten nun nicht nur mechanisch und pneumatisch, sondern auch elektrisch gekuppelt und gefahren werden. Dafür erhielten alle die vollautomatische Scharfenbergkupplung mit stets gleicher Kontaktbelegung.
Bei den in das Modernisierungsprogramm einbezogenen Zügen wurde die Steuerung der Hilfsbetriebe vollständig verändert. Die wichtigste Maßnahme dazu war die konsequente Umstellung der Steuerspannungen (Steuerleitung 6 bis 14) aller Hilfsbetriebeapparate von 48 oder 800 Volt auf 110 Volt, auch die Bordnetzspannung betrug nun 110 Volt.
Die Gestaltung des Führerstands wurde den Veränderungen durch die Modernisierung angepasst. Unmittelbar vor dem Triebfahrzeugführer befand sich nun ein Pult, auf dem die wichtigsten Bedien- und Anzeigeelemente übersichtlich angeordnet waren. Als Schalter verwendete man neue Kippschaltelemente.

Rechentechnik in der S-Bahn

Im Oktober 1979 erhielten die Triebwagen 277 145 und 399 einen Bord-Mikrorechner (BMR), der dem Triebfahrzeugführer Fahrempfehlungen gab. Ein Summton zeigte beispielsweise an, dass der Triebfahrzeugführer den Fahrstrom abschalten kann, um energiesparend zu fahren. Mit den Geräten sammelte das Zentrale Forschungsinstitut des Verkehrswesens gemeinsam mit dem Zentrum für Mikroelektronik und Rechentechnik und der Hochschule für Verkehrswesen "Friedrich List" Dresden, in Fahrzeugen der Baureihe 277mod die ersten Erfahrungen für einen rechnergestützten energieoptimalen Zugbetrieb bei der Berliner S-Bahn. Dabei wurde auf Baugruppen des im VEB Kombinat Robotron entwickelten und gefertigten Mikrorechners ZE 1 zurückgegriffen (Prozessor U808D). Die Stromversorgung und die Baugruppen des Rechners ZE 1 waren in einem Gehäuse mit Frontplatte untergebracht. Auf der Frontplatte befanden sich die Anzeige- und Bedienelemente.

Die Versuchs- und Einstellungsfahrten fanden auf den Strecken Friedrichstraße—Erkner sowie Friedrichstraße—Königs Wusterhausen statt. Dabei konnten Einsparungen der Traktionsenergie von 12 bis 17 Prozent erreicht werden.

Führerstand

Der Führerstand wurde gegenüber der Vorkriegsausstattung komplett umgestaltet.

Nachrüstung mit elektronischen Bauelementen

Ab 1979 suchte man nach neuen technischen Lösungen, um die Umformer zu ersetzen. Diese Maschinen mit ihren rotierenden Innenteilen waren durch die starke mechanische Beanspruchung recht wartungs- und kostenintensiv, und durch die Fortschritte der Elektronik war es möglich geworden, verschleiß- und wartungsärmere Baugruppen zu konstruieren.

Die geplante zweite Modernisierung: 277.5

In Übereinstimmung mit der Konzeption "Fahrzeugentwicklung der Berliner S-Bahn im Perspektivzeitraum 1990-2000" wurde ab Ende 1988 im Wissenschaftlich-Technischen Zentrum der Deutschen Reichsbahn die zweite Modernisierung der Baureihe 277 geplant. Ziel war, den Einsatz dieser Fahrzeuge für weitere 15 bis 20 Jahre sicherzustellen. Berechnungen der S-Bahn sahen einen Fahrzeugbedarf von 1100 Viertelzügen vor, der bis zum Jahr 2000 nicht durch Lieferungen von Neubauzügen der Baureihe 270 hätte abgedeckt werden können. Eine weitere Modernisierung vorhandener S-Bahnwagen sollte deshalb die folgenden Vorgaben berücksichtigen:

Im zeitlichen Ablaufplan war vorgesehen, ab Juni 1989 mit der konstruktiven und technologischen Bearbeitung zu beginnen, 1992 sechs Musterzüge zu bauen und zu erproben und die Serienlieferung ab 1993 zu beginnen. Die umgebauten Wagen sollten zur Unterscheidung Wagennummern erhalten, die mit der Ziffernfolge 277.5 beginnen.

Die Planungen der nunmehr "Schadgruppe T7 mit erhöhtem Aufwand" genannten zweiten Modernisierung der Baureihe 277 endeten mit der zehnten Konstruktionsberatung am 30. Mai 1991. Der Umfang der Arbeiten war entsprechend der Festlegung vom 4. April 1990 bereits stark eingeschränkt worden.


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letzte Änderung:
26. Oktober 2008

Veröffentlichung:
26. Oktober 2008

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