Von der Währungsreform zum "UGO-Putsch"
Der Eisenbahnerstreik im Sommer 1949


Westgeld in Westberlin - aber nicht für Westberliner Eisenbahner

Seit der Einführung der Deutschen Mark (Ost) am 23. Juni 1948 erhielten alle Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn ihren Lohn in dieser Währung, die anfangs auch in Westberlin gültig war. Bereits nach wenigen Monaten aber mussten die in Westberlin wohnenden Eisenbahner wesentliche Dinge in West-Mark bezahlen. Weil das Wertverhältnis beider Währungen sich schon zu dieser Zeit bei etwa 1 zu 4 einpendelte, gerieten die Westberliner Eisenbahner durch die Lohnzahlung in Ostgeld in größte Not.

Auch als ab 20. März 1949 die DM West in Westberlin alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel wurde, gab es für die Reichsbahn immer noch keine Möglichkeit, diese Währung hier zu akzeptieren. Nach der Gesetzeslage war in der Sowjetischen Besatzungszone der Besitz von Westgeld strafbar. Erst nachdem die Gesetze entsprechend ausgelegt werden konnten, war ab 7. April 1949 das Entrichten der Fahrgelder auch in West-Mark möglich.

Nervenkrieg zwischen West-Magistrat und Reichsbahn

Die von der Reichsbahn erhobene Forderung, der Magistrat solle die Bezüge nach dem Vorbild der so genannten Grenzgänger in Westgeld umtauschen, musste dieser ablehnen, weil die Eisenbahner nicht in Ostberlin bei einem Ost-Betrieb tätig waren. Vielmehr befanden sich nicht nur die meisten Dienststellen der betroffenen Mitarbeiter, sondern seinerzeit auch der Sitz der Reichsbahndirektion (Rbd) in den Westsektoren. Die Dienststellen im Rbd-Gebäude am Schöneberger Ufer wurden sukzessive zwischen Juli 1949 und 1951 in den Ostsektor verlegt.

So druckte die (Ost-) Berliner Zeitung am 6. April einen zweispaltigen Artikel über die Praxis der BVG, das Fahrgeld in Westberlin nur noch in "B-Mark" zu erheben. Man verschwieg sowohl, dass diese Währung dort seit zwei Wochen gesetzliches Zahlungsmittel ist, als auch, dass die S-Bahn vom nächsten Tage an dieselbe Währung wenigstens wahlweise annehmen wird.
Die im Osten zuständige Gewerkschaft, der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) unternahm natürlich nichts, um die immer dringender werdenden Forderungen der Westberliner Beschäftigten nach Lohnzahlung in dieser Währung zu unterstützen. Deshalb gewann die seit August 1948 vom FDGB abgespaltene "Unabhängige Gewerkschaftsorganisation" (UGO) rasch das Vertrauen der Eisenbahner. Von der Eisenbahndirektion wurde sie als Verhandlungspartner allerdings nicht akzeptiert. Als die Mitgliederversammlung der der UGO angehörenden Gewerkschaft der Eisenbahner (GdE) Ende März 1949 erneut erfolglos von der Rbd die Entlohnung der betreffenden Eisenbahner in Westgeld forderte, kam es am 8. April zum Streikbeschluss.

In dem Dschungel der unterschiedlichen Interessenlagen - die Alliierten waren stark daran interessiert, dass das Problem nicht eskaliert und hielten sich zurück - war der Westberliner Magistrat machtlos und tauschte Teile der Lohnzahlungen um. Da sich die Reichsbahn weiterhin nicht bewegte, kam es am 4. Mai zur Urabstimmung über den Streik, der mit über 90 % der Stimmen angenommen wurde. Nach weiterem Taktieren der Bahn entschied der UGO-Vorstand, den Streikbeschluss zum 21. Mai 1949, 0.01 Uhr in Kraft zu setzen.

Der Streik beginnt

Dieser in der Geschichtsschreibung der DDR als "UGO-Putsch" bezeichnete Ausstand legte den Eisenbahn-Verkehr in den Westsektoren Berlins und den nach der Beendigung der Blockade soeben geregelten Interzonen-Eisenbahn-Verkehr lahm. Der S-Bahnbetrieb wurde ab 21. Mai 1949 beeinträchtigt, wobei anfangs auch der Verkehr im Ostsektor betroffen war. Laut der Westberliner Tageszeitung BZ vom 22. Mai 1949 waren bei Redaktionsschluss am 21. Mai folgende Strecken in Betrieb:

Der Verkehr auf dem Südring, auf der Wannseebahn und nach Lichterfelde Süd war bereits unterbrochen. Der Telegraf meldete am 23. Mai 1949, dass am Vormittag des 22. Mai noch Züge zwischen Friedrichstraße und Westkreuz sowie zeitweilig von Gesundbrunnen zu den drei Nordstrecken fuhren. Der Betrieb zwischen Gesundbrunnen und Wannsee war bereits eingestellt. Nach Angaben der (Ost-) Berliner Zeitung vom 24. Juni wurden am Vortag noch einzelne Streckenabschnitte in den Westsektoren (z.B. ab Zoo Richtung Osten und von Westkreuz über Wannsee nach Potsdam) befahren.

Der Streikauftakt war überschattet von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und Helfern der Eisenbahndirektion, die den Betrieb aufrechterhalten sollten. Schwerpunkte der Auseinandersetzungen waren die Bahnhöfe Charlottenburg, Schöneberg, Tempelhof und Gesundbrunnen. Am Bahnhof Zoo gab es sogar ein Todesopfer. Nachdem die Westalliierten die Besetzung der Bahnanlagen in den Westsektoren angeordnet hatten, waren am 24. Mai abends Ruhe und Ordnung wiederhergestellt. Der S-Bahnverkehr in den Westsektoren stand aber vollständig still.

Die Ereignisse wurden in der Ostpresse ausgiebig behandelt. Die Zeitungen brachten fast täglich umfangreiche Berichte, die mit dramatischen Überschriften aufmachten

"Berlin verteidigt seine S-Bahn / Sabotage in höherem Auftrag / Planmäßige Zerstörung von Volkseigentum" (Berliner Zeitung, 22.5.)

"Der S-Bahnputsch gelingt ihnen nicht / Erhöht die Wachsamkeit!",
"Terrorprämien werden erhöht" (Berliner Zeitung, 24.5.)

"Momentbilder vom Banditen-Sturm am Zoo!" (Neues Deutschland, 24.5.)

"Rowdy-Banden misshandeln arbeitswillige Eisenbahner" (Neues Deutschland. 25.5.)

Die hinter diesen Überschriften stehenden Berichte sind so blutrünstig wie die Aufmacher. Sie richten sich gegen die "Terrorgruppen" und "Sabotagetrupps" der UGO ebenso wie gegen die "von ihren Polizeiknüppeln" Gebrauch machende "Stumm-Polizei" (so wurde die Westberliner Polizei von östlichen Organen nach ihrem Polizeipräsidenten Johannes Stumm bezeichnet) und Besatzungsangehörige. So soll der der "Provokatorische Überfall" am Bahnhof Zoo auf Weisung eines Chefs der britischen Militärverwaltung organisiert worden sein. Über die Ursachen des Ausstands wurde praktisch kein Wort verlautbart.

Diese Berichte machen trotz aller polemischen Übertreibungen deutlich, dass die Auseinandersetzungen mit sehr hohem Einsatz geführt wurden. So musste am Abend des 31. Mai der Zugverkehr zwischen Pankow und Bernau wegen Zerstörung des 30-KV-Kabels unterbrochen werden. Bis zum 10. Juni verkehrten die S-Bahnzüge mit Dampflokvorspann.

Völliger S-Bahn-Stillstand in Westberlin

Eine Aufstellung der S-Bahnleitung vom 3. Juni zeigt, dass der Stillstand des Betriebes in Westberlin total war. Die Wagenzüge standen noch zwei Wochen nach Streikbeginn überall im Netz verstreut. Die Liste dokumentiert festgesetzte Züge an den Bahnsteigen von elf Bahnhöfen; es war bis dahin nicht gelungen, die Züge sicher in den Betriebswerken und Fahrzeugschuppen unterzubringen.

Der ehemalige Eisenbahner Horst Witte erinnert sich der Geschichte des im Bahnhof Neukölln abgestellten Zuges.

Im östlichen Netzteil verkehrte die S-Bahn nach folgendem Fahrplan:

Bild: Grafik gefahrene Züge

Grafische Darstellung der Zuggruppen, die im östlichen Netzteil während des Eisenbahnerstreiks befahren wurden.

Auch das Gebäude der Reichsbahndirektion Berlin am Schöneberger Ufer im Amerikanischen Sektor war Streikziel. Hierzu meldete die Berliner Zeitung am 9. Juni:

Angehörige der Westpolizei bildeten auch am Donnerstag noch eine dichte Kette um das Gebäude der Reichsbahndirektion Berlin am Schöneberger Ufer im US-Sektor und hinderten gemeinsam mit Funktionären der UGO und dunklen Elementen aus Westberlin arbeitswillige Angestellte der Reichsbahn am Betreten des Hauses. Die Zahl der vor dem Gebäude von der UGO zusammengezogenen Banditen, die in losen Gruppen beieinander standen und auf das Kommando höherer UGO-Funktionäre hörten, betrug etwa 200. ...

Ein damaliger Mitarbeiter des seit April 1949 wieder bei der S-Bahn tätigen, späteren Vizepräsidenten Kittlaus berichtete, dass auch dieser zeitweilig seine Diensträume nicht betreten konnte und solange ein Ausweichquartier bei Eisenbahn-Generaldirektor Kreikemeyer in der Voßstraße in Berlin-Mitte bezog.
Die Erfüllung der Forderung der Streikenden auf Lohnzahlung in DM West zog sich bis Ende Juni 1949 hin. Hauptprobleme blieben die Weigerung der DR, die UGO als Verhandlungspartner anzuerkennen, und des Verweigern von Garantien, auf Maßregelungen gegen Streikende zu verzichten. Eine von der Reichsbahn angebotene Westgeldquote von 60 % wurde in einer Urabstimmung am 2. Juni mit mehr als 96 % der Stimmen abgelehnt, weil dies nach Auffassung der Eisenbahner die Zustimmung zum Verzicht auf 40 % des Lohns in harter Währung bedeutet hätte. Erst nachdem die Alliierten den Druck auf die Streikenden weiter erhöht hatten und auf Zusicherungen von SMA und Reichsbahn verwiesen, dass auf Maßnahmen gegen Streikende verzichtet würde sowie Bürgermeister Reuter sich den Appellen zur Einstellung des Streiks anschloss, war ein Ende des Ausstands in Sicht. Als auf allerhöchster alliierter Ebene der Westberliner Magistrat am 25. Juni ermächtigt wurde, ab dem 28. Juni diejenigen Entgelte umzutauschen, die die Reichsbahn nicht in Westgeld auszahlte, beschloss die UGO einen Tag später, den Streik am 28. Juni, 8 Uhr abzubrechen.

Wegen eines Termins zur Wiederinbetriebnahme der S-Bahn gab es auf Seiten der Reichsbahn einige Verwirrungen. Obwohl die Eisenbahner den Betrieb planmäßig am 28. Juni wieder aufnahmen, ruhte der Verkehr weiterhin. Die Rbd ließ zunächst von einer Kommission die Betriebssicherheit überprüfen. Der Stellvertretende UGO-Vorsitzende, Christian Hanebuth, hielt diese Verzögerung für überflüssig. Die Bahnanlagen seien voll betriebsfähig. Seine Vermutung: Die Rbd wolle auf diese Weise die Beschuldigung, die Streikenden hätten die Bahnanlagen zerstört, wahrscheinlicher machen.
Einer Ankündigung der Reichsbahn, den Betrieb am 30. Juni aufzunehmen, folgte noch ein Widerruf und schließlich die tatsächliche Wiederaufnahme des S-Bahnverkehr am 1. Juli 1949; übrigens ohne Störungen.

Die Zusagen, auf Maßregelungen gegen Beschäftigte zu verzichten, hat die Reichsbahn nicht eingehalten: Am 29. Juli 1949 erhielten 380 Mitarbeiter die fristlose Kündigung; weitere Entlassungen folgten später. Der Eisenbahnhistoriker Peter Bley berichtet, dass Westberliner Eisenbahner in den fünfziger Jahren massiv aufgefordert worden sind, sich zu Dienststellen in der DDR versetzen zu lassen und auch ihren Wohnsitz dort zu nehmen. Wer dem nicht Folge leistete, ging als beamtenähnlicher Mitarbeiter einer damaligen Behörde das Risiko ein, entlassen zu werden, weil er sich Weisungen seines Dienstherrn widersetzte. Etliche Reichsbahner haben damals bei der Bundesbahn oder in Berlin bei der Verwaltungsstelle der DB oder bei der Verwaltungsstelle des ehemaligen Reichsbahnvermögens (VdeR) einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Anfang 1955 waren bei Ostberliner Dienststellen der S-Bahn (einschließlich der Verwaltung der S-Bahn) nur noch acht Westberliner beschäftigt.


In den beiden nachfolgenden Links zeigen wir Ihnen einige ausgewählte Zeitungsausschnitte der Märkischen Volksstimme aus Potsdam.

Zeitungsausschnitte Mai 1949 Zeitungsausschnitte Juni 1949

Autor:
Manuel Jacob

Bild: Buchtitel

Quellen:
Überblick der Entwicklung des Reichsbahndirektionsbezirks Berlin 1945 bis 1955, Vorabdruck Rbd Berlin, 1987
Berliner Verkehrsblätter; Heft 9/1965; S. 118
Berliner Verkehrsblätter; Heft 2/1966, S. 20
Schriftenreihe zur Berliner Zeitgeschichte; Band 4; S. 1747
Berliner Zeitung (BZO) vom 25. Mai 1949
Reichsbahn ohne Reich; Band I (1945 – 1955); S. 192

letzte Änderung:
21. August 2009

Veröffentlichung:
20. Mai 2009

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