Die Baureihe 165 - die Bauart Stadtbahn

Seite 2


eine Seite zurück eine Seite vor

Die Serienlieferungen (Bauart 1928 - 1930)

Für die Serienfertigung hatte man sich für die Bauform der Firma Orenstein & Koppel entschieden. Am 26. Januar 1928 schloß die Deutsche Reichsbahn Gesellschaft (DRG) mit der Deutschen Wagenbau-Vereinigung (DWV) einen Vertrag über den Bau von Trieb- und Beiwagen. Dabei trat die DWV als Vertreterin ihrer sechs Werke auf:

Bestellt wurden 404 Trieb- und 376 Beiwagen in einem vorläufigen Gesamtwert von RM 32.154.000,00.

In die Serienausführung wurden folgende Eigenheiten der Probezüge mit übernommen:

Die Flettner-Rotoren wurden nicht mehr eingebaut. Der Verzicht darauf ergab sich aus der Planung für den Nordsüd-S-Bahntunnel und der vorgesehenen geringeren Höhe. Zur Belüftung des Wageninneren wurden Fallfenster eingebaut die sich bis zur Hälfte des Fensters herunterziehen ließen. Ein weiteres kleines Klappfenster installierte man oberhalb dieser Fenster. Als Farbgebung wurden alle Wagen bis zur Fensterbrüstung in bordeauxrot, darüber in gelb (für die 3. Klasse) bzw. blau (für die 2. Klasse) lackiert. Das Dach erhielt einen silberfarbenen Anstrich. Für die Inneneinrichtung der 3. Klasse wurde Eichenholzfurnier und für die Sitze poliertes Eschenholz verwendet. In der 2. Klasse waren die Sitze mit einer Stahlbandfederung mit aufgelegtem Rosshaar und Plüschbezug gepolstert und die Innenwände mit Mahagonifurnier getäfelt.

Bild: Ausfahrt Richtung Witzleben

Ein S-Bahnzug der Bauart Stadtbahn ist aus dem Bahnhof Westkreuz (Ringbahn) in Richtung Witzleben ausgefahren.
Bis 1938 standen auf diesem Abschnitt der Ringbahn noch Formsignale (undatiert).

Ihr erster offizieller Einsatztag war der 11. Juni 1928 auf der Strecke Erkner—Potsdam. Diese Strecke führte über die gesamte Berliner Stadtbahn, was den Zügen dann den Namen Stadtbahner gab.

Schon im Jahre 1929 wurde die erste Nachbestellung über weitere 160 Trieb- und 85 Steuerwagen ausgelöst. Aufgrund des geänderten Einsatzkonzeptes wurden erstmals 80 Beiwagen geordert und noch 1929 ausgeliefert. Auch an der Inneneinrichtung ergaben sich Änderungen. So wurden die Türen in den Zwischenwänden entfernt und es konnten mehr Sitzplätze angeboten werden (siehe Tabelle 3). Bei einigen Steuerwagen teilte man in der 2. Klasse das Raucher- und Nichtraucherabteil durch eine Trennwand. Die neu zu liefernden Beiwagen hatten ebenfalls eine Aufteilung in 2. und 3. Klasse.


  Bauart 1928   Bauart 1929   Bauart 1930
  Triebwagen Steuerwagen Triebwagen Steuerwagen Beiwagen Triebwagen Beiwagen
Sitzplätze 3. Klasse 54 30 60 32 32 60 32
Sitzplätze 2. Klasse - 28 - 33 33 - 33
Stehplätze 3. Klasse 100 45 90 40 42 90 42
Stehplätze 2. Klasse - 45 - 40 43 - 43

Tabelle 3: Übersicht über das Platzangebot der einzelnen Bauarten

In der zweiten Serie enthalten war auch der Bau von jeweils zwei Viertelzügen in Leichtmetallbauweise. Beauftragt wurden die Firmen Busch in Bautzen und Wegmann in Kassel. Die Auslieferung erfolgte 1931. Nach einigen Tests kamen diese im November 1931 in den regulären Fahrgastverkehr. Nach einem Unfall mit einem der Viertelzüge und den daraus resultierenden Schäden war klar, daß diese Bauweise zum damaligen Zeitpunkt nicht wirtschaftlich war. Das Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) Schöneweide sah sich technisch und personell nicht in der Lage, diese Wagenkästen zu reparieren. Alle vier Viertelzüge wurden bis Ende 1968 aufgrund von Korrosionsschäden ausgemustert.


Bauart 1927 1928 1929 1930
Triebwagen 37,6 t 38,0 t 38,4 t 39,2 t
Steuerwagen 27,0 t 27,0 t 27,0 t -
Beiwagen - - 26,8 t 27,8 t

Tabelle 4: Übersicht über die Gewichtsangaben der Bauarten 1927 bis 1930

In einer dritten Serie wurden nochmals 70 Trieb- und 93 Beiwagen bestellt. Da man anfänglich von einer Bedarfsreserve an Triebwagen ausging, die aber letztendlich nie gebraucht wurde, glich man so den bestehenden Überhang aus. Änderungen in der Inneneinrichtung gab es gegenüber der vorherigen Bauart 1929 nicht. Die Lieferung dieser Bauserie erfolgte in den Jahren 1930 und 1931.

Die Bauart 1932 (Wannseebahn)

Die "Große Elektrisierung" fand im Jahre 1929 ihren Abschluß. Kleinere Anschlußvorhaben (Jungfernheide—Gartenfeld und Kaulsdorf—Mahlsdorf) konnten aus dem vorhandenen Wagenpark mit bedient werden. Erst mit der geplanten Elektrifizierung der Wannseebahn im Jahre 1933 wurde ein weiterer Fahrzeugbedarf konstatiert. Die 1932 bestellten 49 Viertelzüge wurden als Bauart Wannseebahn in Betrieb gestellt.
Man behielt die Form und Platzaufteilung gegenüber der Bauart 1929/30 bei. Die zwei wesentlichsten Unterschiede bestanden zum einen im neuen elektromotorischen Schaltwerksantrieb sowie in der glatten Außenhaut, die durch Versenken der Nieten erreicht wurde. Auch in dieser Bauart wurde der Trieb- als reiner 3. Klasse-Wagen und der Beiwagen als 2. und 3. Klasse-Wagen eingesetzt. Zu dieser Bauart wurden zwei Versuchsviertelzüge (als Bauart 1932a bezeichnet) gebaut, die bereits Merkmale der nachfolgenden Bauserien aufwiesen.

Einsatzmöglichkeiten der Viertelzüge

Aufgrund der sich stetig weiterentwickelnden Erfahrungen im alltäglichen Einsatz überdachte die DRG ihr Einsatz- und Viertelzugkonzept. Im Gegensatz zur Bauart Oranienburg wurden die Trieb-, Steuer- und Beiwagen mittels einer Kurzkupplung mit Ringfederung fest verbunden. Untereinander verband die Viertelzüge eine halbautomatische Scharfenbergkupplung, diese verband beim Kupplungsvorgang nur die Luftleitungen. Die Steuerstromleitungen wurden von Hand miteinander verbunden. Dazu waren unterhalb des Wagenkastens Steuerstromkabel und -dosen angebracht.

Um dem Personal die Kuppelarbeiten zu erleichtern, wurden zwischen März und Dezember 1930 23 Viertelzüge nachträglich mit einer elektrischen Kupplung versehen. Diese Fahrzeuge wurden bevorzugt auf der Ringbahn eingesetzt, da hier durch das häufige Schwächen und Verstärken der Züge gewährleistet war, die Schwachstellen zu entdecken. Die Zuteilung der so ausgerüsteten Fahrzeuge erfolgte an die S-Bahnbetriebswerke Papestraße und Westend. Folgende Viertelzüge wurden umgerüstet:

ET/ES 165 048, 051, 072, 149, 156, 185, 187, 198, 234, 241, 282, 287, 292, 300, 316, 317, 319, 395, 400, 442, 443, 450 und 459. [1]

Eine serienmäßige Umrüstung aller Fahrzeuge der Bauarten 1927 bis 1932 fand nicht statt. Die nachfolgenden Bauarten bekamen später eine vollautomatische Kupplung der Firma Scharfenberg.

Bild: Einfahrt nach Westkreuz

Von Grunewald kommend fährt ein S-Bahnzug der Bauart Stadtbahn (BR 165) in den Bahnhof Westkreuz (Vorort) ein.
Die Gleistopografie hier im westlichen Bahnhofskopf hat sich bis heute mehrfach verändert (undatiert).

Die Änderung der Baureihenbezeichnung

Ende der dreißiger Jahre entwickelte die Deutsche Reichsbahn einen neuen Plan zur Kennzeichnung ihrer Fahrzeuge. Dabei führte sie erstmals Baureihenbezeichnungen ein. Alle Berliner S-Bahnfahrzeuge, die bis 90 Stundenkilometer fahren konnten, erhielten die Baureihennummern 165 - 169. Für die Züge der Bauarten 1927 - 1930 legte man die Baureihe 165.0 - 6 und für die Bauart 1932 die Baureihe 165.8 fest. Durch diese Unterscheidung sollte der Unterschied zwischen Stadtbahner und Wannseebahner deutlich werden, da sich diese zu diesem Zeitpunkt noch technisch unterschieden.
Bei der Umzeichnung wurden erstmals die Abkürzungen ET (elektrischer Triebwagen), ES (elektrischer Steuerwagen) und EB (elektrischer Beiwagen) eingeführt. Dabei erhielten die Trieb- und Steuerwagen bzw. Trieb- und Beiwagen immer dieselbe Ordnungsnummer (ET 165 001 - ES 165 001).

Der Fahrzeugpark im Zweiten Weltkrieg (1939 - 1945)

Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg durch den Angriff auf Polen. Die Industrie wurde nun noch zielgerichteter auf Kriegskurs getrimmt, für das gesamte Land ergaben sich nach und nach Beschränkungen im Alltag. Erste sichtbare Veränderungen bei der S-Bahn waren die Verdunklungen in den Abendstunden gemäß §18 Abs. 6 der Achten Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz (Verdunklungsverordnung) vom 23. Mai 1939 :

Die Zug- und Spitzenlichter anderer Schienenbahnen sind unter Beachtung der Vorschriften des § 10 Abs. 1 und des § 11 so abzuschirmen, daß sie nur in verkehrstechnisch notwendiger Blickrichtung sichtbar sind.

Daraus ergaben sich folgende Änderungen:

Bild: Zug mit Verdunklungsscheinwerfer

Unter dem Zuggruppenschild ist der angebrachte Verdunklungsscheinwerfer erkennbar.
Der Zug verläßt gerade den Bahnhof Bornholmer Straße in Richtung Wollankstraße (um 1942).

An den Einstiegstüren brachte man weiße Rahmen aus Nitrofarbe mit einer Breite von 10 cm an. Somit sollte eine Verwechslung des Zwischenraumes der Fahrzeuge und der Einstiegsstüren verhindert werden. Durch verstärkte Bombenangriffe in den Jahren 1943 und 1944 traten auch bei der Berliner S-Bahn große Schäden auf. Alleine in diesen beiden Jahren hatte die Baureihe 165 einen Verlust von 90 Wagen hinzunehmen - dieses Wagenmanko konnte auch nicht durch eine verstärkte Instandsetzung ausgeglichen werden. Da einige Drehgestelle nicht zerstört waren, kam alsbald die Idee auf, einen Wagenkasten zu bauen und diesen auf diese Drehgestelle zu setzen. Die Planung einer "Kriegs-S-Bahn" begann.
Über die Aufarbeitung von kriegsbeschädigten S-Bahnwagen vor 1945 mit unterschiedlichen Konzepten hat Hans-Joachim Hütter einen interessanten und detaillierten Aufsatz in den Verkehrsgeschichtlichen Blättern, Heft 5/2003 geschrieben.

Bild: Leichtmetallzug im S-Bahnhof Pichelsberg

Ein S-Bahn-Leichtmetallzug der BR 165 - gebaut bei der WUMAG - im Bahnhof Pichelsberg.
Der Triebwagenschaffner wartet auf das Abfahrtsignal des Aufsichtsbeamten. Im Hintergrund wachsen einige Weinreben in guter Berglage (undatiert).

Mit der Rückkehr des Zweiten Weltkrieges an seinen Ausgangsort änderten sich nicht nur die Lebensgewohnheiten der Berliner und Brandenburger - auch die Berliner S-Bahn mußte weitgehende Einschränkungen hinnehmen. Da das Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) Schöneweide nicht mehr mit den Reparaturen hinterherkam, wurden etliche Viertelzüge in andere Reichsbahnausbesserungswerke umgesetzt. Viele von diesen Fahrzeugen kamen nach Kriegsende nicht wieder zurück.
Nicht nur durch Bombenangriffe wurden viele Viertelzüge beschädigt bzw. zerstört, auch die in den letzten Kriegstagen durchgeführte Sprengung des Nordsüd-S-Bahntunnels unter dem Landwehrkanal und die daraus resultierende Überflutung sorgte für weitere Verluste. Davon betroffen waren die Viertelzüge 165 804, 807, 808 und 845 der Bauart Wannseebahn sowie auch ein Leichtmetallviertelzug (165 431).

Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Verluste hoch. Eine genaue Auflistung ist auch heute noch nicht möglich. Viele Wagen wurden wegen schwerer Schäden ausgemustert. Die sich in Polen befindlichen Fahrzeuge wurden von der PKP behalten und auf der Vorortbahn um Danzig (polnisch: Gdansk) eingesetzt. Durch Reparationsleistungen entschwanden im Jahre 1946 etliche Fahrzeuge in die damalige Sowjetunion.


eine Seite zurück eine Seite vor

nach oben