Die Baureihe 165 - die Bauart Stadtbahn

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Ohne die Wagen der Baureihe (BR) 165 (spätere BR 275 und 475) wäre das ehemalige Flair der Berliner S-Bahn wohl so nicht möglich gewesen. Keine andere Fahrzeugserie hat das Bild der S-Bahn und der Stadt Berlin je so geprägt. In einer Stückzahl von über 1276 Wagen (638 Trieb-, 465 Steuer- und 173 Beiwagen) gebaut, stellt sie bis heute die je in Dienst gestellte größte Bauserie von Lokomotiven in Deutschland dar. Ihren Spitznamen Stadtbahner verdanken sie der in den Jahren 1928/29 stattgefundenen "Großen Elektrisierung". Mit der Aufnahme des elektrischen Vorortverkehres am 11. Juni 1928 auf der Stadtbahn fuhren diese neuen Züge dort das erste Mal. Daraufhin erhielten sie die schon erwähnte Bezeichnung Stadtbahner - die Legende ward geboren.

Auf den nachfolgenden Seiten wird der Werdegang dieser Baureihe beschrieben. Der Aufsatz gibt Einblicke in den Fahrzeugaufbau, die anfänglichen Schwierigkeiten in der Instandhaltung sowie auch die in den 1970er Jahren durchgeführte Modernisierung. Die Texte erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit - hierzu sei dann auf die umfangreiche Quellen- und Literaturliste am Ende des Textes verwiesen.

Nach der Inbetriebnahme des elektrischen Vorortverkehres auf den Nordstrecken von 1924-25 konnte die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) alsbald erste Erfolge vermelden. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten stellte sich diese neue Traktionsart gegenüber dem alten dampfbetriebenen Vorortverkehr als überragend heraus. Anfang Juli 1926 kam die Genehmigung des Verwaltungsrates der DRG für die Elektrifizierung von Stadt- und Ringbahn und der verbleibenden Vorortstrecken nach Spandau-West, Potsdam und Stahnsdorf bzw. nach Erkner, Grünau, Spindlersfeld und Kaulsdorf im Osten. Um den Betrieb auch auf diesen Strecken gewährleisten zu können, reichten die vorhandenen Fahrzeuge der Bauarten Oranienburg und Bernau nicht aus.

Im September 1926 wurden die Firmen Waggon- und Maschinenbau AG Görlitz (WUMAG) und Orenstein & Koppel Berlin (O & K) mit dem Bau zweier Halbzüge beauftragt, die jeweils aus zwei Viertelzügen (Trieb- und Steuerwagen) bestanden.

Die Prototypen (Bauart 1927)

Grundlage für den Aufbau der Prototypen war die 1925 gebaute Bauart Oranienburg, die sich im Alltagsbetrieb sehr bewährt hatte.
Wie auch bei der Bauart Oranienburg wurde hinter dem Führerstand des Triebwagens ein Abteil eingerichtet. Dieser Raum hatte zwei Funktionen, die davon abhängig waren, an welcher Stelle der Triebwagen im Zug stand: An der Zugspitze diente er als Dienstabteil und durfte von regulären Fahrgästen nicht benutzt werden. Lief der Triebwagen jedoch an einer anderen Stelle des Zuges (in der Mitte oder am Schluß) konnte es für Traglasten, Kinderwagen oder Fahrräder verwendet werden. In diesem Abteil befanden sich 2x2 Sitze an der Rückwand des Führerstandes sowie 2x6 Sitze. Letztere waren zwischen der ersten und zweiten Fahrgastraumtür in Längsrichtung angeordnet. Zwischen diesem Abteil und dem restlichen Fahrgastraum des Triebwagens befand sich eine Wand mit einer Drehtür. Der übrige Fahrgastraum des Triebwagens bestand aus Sitzgruppen für jeweils vier Personen. Zwischen jeder Tür befanden sich zwei solcher Sitzgruppen.
Alle Triebwagen waren als 3. Klasse-Wagen eingerichtet.

Bild: Sitzanordnung BR 165

Die Sitzanordnung der Bauart 1927 wurde von der BR 168 übernommen.

Die Steuerwagen waren im Aufbau ähnlich dem der Triebwagen, zusätzlich waren sie jedoch in 2. Klasse und 3. Klasse unterteilt. Die Trennung dieser beiden Klassen erfolgte durch eine Trennwand mit Drehtür. Während man in der zweiten Klasse auf gepolsterten Sitzen saß, war die dritte Klasse mit Holzbänken ausgestattet worden.
Die Innenbeleuchtung der Wagen erfolgte mittels 20 in die Decke eingelassenen Lampen. Weitere kleinere Lampen befanden sich in der Mitte der Wagendecke in Höhe der Einstiegstüren, sie dienten als Notbeleuchtung bei Ausfall der Streckenspannung und wurde mit einem 6 Volt Akkumulator betrieben.

Als Stirnlampe installierte man einen Scheinwerfer in der Mitte der Front unterhalb des Führerstandsfensters. Unter dieser befand sich eine rote Lampe, die dazu diente, das Fahrzeug beim Befahren des Gegengleises (damals noch Falschfahrt genannt) als solches zu kennzeichnen. Wie auch bei der Bauart Oranienburg sind die Führerstandsfenster dreiteilig, sie sind jedoch in ihrer Ausführung etwas größer. Der Einbau des Fahrzielanzeiger erfolgte hier erstmals oberhalb des mittleren Führerstandsfensters. Über diesem befand sich das Funkenhorn des Hilfstromselbstauslösers, der dazu diente, Überströme abzuleiten. Als Kennzeichnung des Zugschlusses fungierten wie bei der BR 168 elektrische Lampen auf dem Dach (Oberwagenlaternen, auch Owala genannt).

Da sich das Türkonzept der BR 168 bewährt hatte, wurde auch die Prototypen mit je vier Türen pro Wagen gebaut. Diese Doppelflügeltüren, die seitlich aufgeschoben wurden, hatten Türklinken aus Messing. Um die Sicherheit für die Reisenden erhöhen zu können, wurde nun neu eine Türschließeinrichtung installiert. Damit war es dem Zugpersonal möglich, vom vorderen Führerstand aus alle geöffneten Türen am Zug zu schließen. Die Züge der Bauarten Bernau und Oranienburg konnten es bis dato nicht. Zwischen den Türen befanden sich jeweils zwei Fenster, die sich nicht öffnen ließen. Man verließ sich anfangs auf eine Druckbelüftung mit Flettner-Rotoren. Diese Lüftung erwies sich jedoch als nicht ausreichend, so daß die späteren Serienfahrzeuge herunterlaßbare Fenster bekamen. Später mussten die Flettner-Rotoren ausgebaut werden, da diese Wagen sonst aufgrund des eingeschränkten Lichtraumprofils in dem am 27. Juli 1936 neueröffneten Nordsüd-S-Bahntunnel nicht hätten fahren können. In diesem Zusammenhang änderte man auch gleich bei der Bauart 1927 die Fenster mit - sie wurden entsprechend der Serienlieferung angepasst.

Übrigens: Diesen Fehler von sich nicht öffnenden Fenstern wiederholte man mit der Indienststellung der BR 481. Im Sommer 1997 heizten sich die Fahrzeuge so stark auf, das die elektronisch geregelte Lüftung nicht mehr gegen den Hitzestau ankam. Auch hier rüstete man auf zu öffnende Fenster um.
Schon im Dezember 1959 bemängelte die ehemalige Deutsche Reichsbahn die ab 25° Celsius Außentemperatur unzureichende Druckbelüftung des ET 170; auch bei diesem Fahrzeugtyp ließen sich die Fenster in den Fahrgasträumen nicht öffnen.

Bild: nahe S-Bahnhof Tiergarten

Im Sommer 1934 treffen sich am S-Bahnhof Tiergarten ein Autobus der Linie A9 (mit Vollgummireifen), die Straßenbahnlinie 78 sowie ein S-Bahnzug der Bauart Stadtbahn.
Letzterer fährt gerade in den S-Bahnhof Tiergarten ein. Im Vordergrund die damalige Charlottenburger Chaussee (heute Straße des 17. Juni).

Durch die Verwendung von Siliziumstahl konnte das Gewicht der Wagen gegenüber der Bauart Oranienburg um ca. 18% und gleichzeitig auch die Motorenleistung gesenkt werden. So wog ein Triebwagen nun 37,6t (Bauart Oranienburg 44,5t) und der Beiwagen nur noch 27t (33,7t). Die Wagenkastenlänge blieb mit 17 Metern gleich.
Die Wagen von O &K unterschieden sich in der Lackierung gänzlich von den Wagen der Firma WUMAG. Bei O & K war der Wagenkasten bis zur Fensterbrüstung rot und darüber bis zur Dachkante gelb lackiert. Die Wagen der WUMAG waren in den Farben gelb (für die 3. Klasse) und rot (für die 2. Klasse) ausgeliefert worden.


  Triebwagen Steuerwagen
Sitzplätze 3. Klasse 54 30
Sitzplätze 2. Klasse   28
Stehplätze 3. Klasse 100 45
Stehplätze 2. Klasse   45

Tabelle 1: Platzangebot der Prototypen

Als Fahrmotore wurden vier GBM 700 (selbstlüftende Reihenschlussmotore mit Tatzlagerantrieb) mit einer Stundenleistung von 90 kW eingebaut, die eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zuließen. Aufgrund der verwendeten Getriebe (gerade- oder schrägverzahnt) ergab sich - bis zu ihrer Ausmusterung im Jahre 1997 - der charakteristische Sound der Züge.

Die Typenbezeichnung für die Triebwagen war C4esT-27 und ergab sich aus dem Wagenbau. Der Triebwagen (T) wurde als C4-Wagen (vierachsiger Wagen mit 3. Klasse Abteil) für den elektrischen Stromschienenbetrieb (es) gebaut. 1927 war das Baujahr der Wagen. Diese Typenbezeichnung C4esT-27 wurde auch am Längsträger des Hauptrahmens angeschrieben. Die Steuerwagen (S) fimierten als BC4esS-Wagen, also vierachsige Wagen mit 2. (blaue Außenlackierung) und 3. Klasse (gelbe Außenlackierung).
Die Deutsche Reichsbahn Gesellschaft übernahm die Probezüge 1928. Die Fahrzeugnummern bis zur ihrer Ausmusterung können Sie der nachfolgenden Tabelle entnehmen.


Hersteller bei Anlieferung ab 1930 ab 1942 ab 1970 Verbleib
O & K 2185 3107 ET 165 037 - Umbau zu U-Bahn EIII/1, 101 044-8
O & K 5203 5052 ES 165 037 - Umbau zu U-Bahn EIII/1, 151 045-8
O & K 2188 3108 ET 165 038 - Umbau zu U-Bahn EIII/1, 101 042-2
O & K 5202 5051 ES 165 038 - Umbau zu U-Bahn EIII/1, 151 043-2
WUMAG 2186 3109 ET 165 039 - + 20.12.1945
WUMAG 5204 5053 ES 165 039 - + 20.12.1945
WUMAG 2187 3110 ET 165 040 275 625-2 1) 2)
WUMAG 5205 5054 ES 165 040 275 626-0 3) 4)

Tabelle 2: Fahrzeugnummern der Prototypen

Erklärungen:
+ = Fahrzeug ausgemustert
1) Wagen ging am 9.1.1984 in den Betriebsbestand der BVG über, 1992 intern umgezeichnet in 475 161-6 (ex 275 625-2)
2) Überführung am 1.8.2006 ins Deutsche Museum nach München überführt
3) Wagen ging am 9.1.1984 in den Betriebsbestand der BVG über, 1992 intern umgezeichnet in 875 161-2 (ex 275 626-0)
4) das Steuerabteil wurde in den Kriegsjahren ausgebaut und der Wagen nur noch als Beiwagen eingesetzt


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