Wollankstrasse


telegrafisches Kurzzeichen: BWOK, vormals Wo
eröffnet: 10. Juli 1877 (als Pankow Nordbahn)
elektrischer Betrieb seit: 5. Juni 1925
Zugverkehr eingestellt: 9. Januar 1984
Zugverkehr wieder aufgenommen: 1. Oktober 1984
Station liegt an der Nordbahn

Schönholz Bornholmer Straße

Mit der Eröffnung der Nordbahn (Berlin Stettiner Bahnhof—Oranienburg—Neubrandenburg) am 10. Juli 1877 ging auch gleichzeitig der Bahnhof - damals noch unter dem Namen Prinzenallee - in Betrieb. Mit sagenhaften 30 Stundenkilometern fuhren die Züge über die neue Strecke. Der anfangs noch spärliche Personenzugverkehr hielt an der Station nur im Bedarfsfall. In den nachfolgenden Jahren wurde der Bahnhof mehrfach umbenannt:

Umbenennungen waren schon damals eine beliebte Berliner Spezialität!
Ab dem 1. Oktober 1891 wurde der Bahnhof regelmäßig angefahren, im Jahre 1893 erhielt er sein noch heute in Betrieb befindliches Empfangsgebäude an der Nordbahn-/Sternstraße. Vorbildlich war der Nahverkehr ab dem 1. Oktober 1895: die erste elektrische Straßenbahn Berlins verband ebendiese mit der Gemeinde Pankow [2].

Bild: Empfangsgebäude

Das Empfangsgebäude in der Nordbahnstraße am 31. März 2007.

Mit dem steigenden Verkehrsaufkommen der Nordbahn reichten die Kapazitäten des Bahnhofes nicht mehr aus - er musste umgebaut werden. Von 1901 - 1903 folgte neben dem Ausbau und der gleichzeitigen Höherlegung der Streckengleise auch ein neuer Mittelbahnsteig sowie ein neuer, südöstlicher Ausgang an der Nordbahn- /Ecke Wollankstraße. Der Bahnhof wurde aufgrund der engen Bebauung der Nordbahnstraße auf 23 stadtbahnähnliche Viadukte neu angelegt. Der weiter östlich gelegene Gleisbereich liegt damals wie heute auf einem Erddamm.

Anfang der 1920er Jahre entschied sich die Deutsche Reichsbahn (DR), die Nordstrecken (Stettiner Bahn, Nordbahn und Kremmener Bahn) aufgrund ihrer leichten Herauslösbarkeit aus dem Netz der Vorortverkehre, zu elektrisieren. So fuhren ab dem 5. Juni 1925 die ersten elektrischen Züge den Bahnhof an.
Im Jahre 1945 geht zwölf Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten das Tausendjährige Reich zu Ende. Aufgrund der Kampfhandlungen in Berlin (u.a. ausbleibende Kohlelieferungen für die Kraftwerke der Bewag) bricht die Stromversorgung der S-Bahn Anfang Mai endgültig zusammen - der S-Bahnverkehr wird stadtweit eingestellt. Nach einem sporadischen Verkehr mit dampfbetriebenen Zügen im Juni und Juli wird im selben Monat der elektrische S-Bahnverkehr wieder aufgenommen.
Am 5. Juni 1945 wird aufgrund der Berliner Deklaration die Stadt in in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Diese neue Zeit fordert ihren Tribut: Lag die Station vorher im Stadtbezirk Pankow und die westliche verlaufende Nordbahnstraße im Stadtbezirk Wedding, so bildet die Kante der Viaduktstrecke nun die neue Demarkationslinie zwischen zwei Welten. Pankow gehört nun zur sowjetischen, der Wedding zur französischen Besatzungszone. Die Deutsche Reichsbahn verblieb weiterhin unter Ostberliner und somit sowjetischer Regie: die alliierten Siegermächte betrachteten die Berliner Eisenbahnanlagen von Anfang an als betriebliche Einheit. Daran änderte sich auch in den nachfolgenden Jahren (vorerst) nichts mehr.

Bild: Bahnsteigansicht

Blick vom Zugang Nordbahn- /Wollankstraße auf das Bahnsteiggleis in Richtung Gesundbrunnen (26. Dezember 1983).

Für die Fahrgäste blieb somit vorerst alles beim alten - man hatte andere Sorgen. In den nachfolgenden Jahren änderte sich nach und nach die politische Landschaft. Die Berlin-Blockade von 1948 ist der erste Höhepunkt des Kalten Krieges. Das spürten dann auch die umsteigenden Fahrgäste zur Straßenbahn. Am 16. Januar 1953 unterbrach Ostberlin alle sektorenüberfahrenden Linien. Am S-Bahnhof Wollankstraße betraf das die Linie 24. Während man den in Ostberlin verlaufenden Linienteil durch den Bus ersetzte, wurde auf der Weddinger (und damit Westberliner) Seite der Verkehr der Linie 24 zum 26. Januar 1953 wieder aufgenommen. Durch den Beschluß des Westberliner Senates, vollkommen auf die Straßenbahn als Nahverkehrsmittel zu verzichten, wurde die Linie 24 am 2. Mai 1960 endgültig eingestellt. Hatten sich Senat und die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bei vorherigen Stillegungen immer noch die Mühe gemacht, irgendwelche (teilweise angeblichen) Ursachen als Stillegungsgründe anzugeben, so wurde diese Linie als erste ohne jegliche Begründung eingestellt und durch einen Omnibusverkehr ersetzt.

13. August 1961: die DDR beschließt die Maßnahmen zur Sicherung der Grenzen der DDR. In den nachfolgenden Tagen baut die DDR auf Ostberliner Gebiet eine Mauer, um somit eine weitere Flucht ihrer Bürger zu verhindern. Der S-Bahnhof Wollankstraße wird durch die Absperrmaßnahmen östlich der Station zu einem politischen Kuriosum. Da er genau auf der Grenze zwischen beiden Systemen liegt, ist er nur noch von Westen her erreichbar. Westberliner die nun mit der S-Bahn fahren wollen, betreten jetzt "exterritoriales" Gebiet. Mit dem nun einsetzendem S-Bahnboykott sind das aber bald nicht mehr viele: die S-Bahn verliert in ganz Westberlin in den nachfolgenden Wochen und Monaten einen Großteil ihrer Benutzer. Die auf dem Bahnhof diensttuenden Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn sind Westberliner. Sie und viele andere werden in den nächsten Jahren geschmäht, angefeindet und teilweise auch tätlich angeriffen.
Am Sonntag, dem 28. Januar 1962 entdecken Eisenbahner in einem unter dem Bahnhof sich befindlichen Viaduktbogen einen Fluchttunnel. Durch ihn sollten nach erfolgter Durchgrabung Menschen aus dem Ostteil nach Westberlin flüchten können. Das Unternehmen scheiterte dadurch, da am Vortag auf dem Bahnsteig nahe dem Warteraum die Bahnsteigdecke aufbrach [3]. Die DDR nutzte diesen Vorfall natürlich für ihre Propangandazwecke.

Bild: Eigentümerhinweis

Vom September 1984 bis weit in die 90er Jahre hinein gab es am Eingang diesen Eigentümerhinweis.

Die weiteren Jahre verliefen dann aber relativ ereignislos. Vorfälle, die sich dann auf dem Bahnsteig abspielten, wurden mit Hilfe der Westberliner Schutzpolizei, der französischen Militärpolizei sowie der (Westberliner) Bahnpolizei der Deutschen Reichsbahn geregelt. Die Eisenbahner, die hier ihren Dienst versahen, waren Personal der Dienststelle Schönholz, vom September 1980 bis zum Januar 1984 wurden sie der Dienststelle Gesundbrunnen zugeordnet.
In den 1970er Jahren versuchte die Reichsbahn immer wieder, die S-Bahn an den Westberliner Senat zu verpachten. Dieser zeigte jedoch kein Interesse. Der Reichsbahnerstreik vom September 1980 beeinflußte den Verkehr an diesem Bahnhof nicht. Erst mit der Übertragung der Betriebsrechte an die BVG am 9. Januar 1984 wurde der S-Bahnverkehr eingestellt. Da die DR für diese Station weiterhin verantwortlich war, sanierte sie in den nachfolgenden Wochen den Bahnhof nahezu vollständig. Dabei wurde auch das Aufsichtsgebäude baulich verändert. Da die Reichsbahn jeglichen Kontakt zum neuen Betreiber BVG vermeiden wollte, ließ sich an beiden Seiten einen Erker anbauen. So brauchten die hier diensthabenden Aufsichten zur Abfertigung nicht mehr auf den Bahnsteig hinaustreten, der Kontakt zum Klassenfeind wurde damit auf das Notwendigste beschränkt.

Hier finden Sie eine umfangreiche Dokumentation über die Bauarbeiten auf der Station im Jahre 1984:
Die Sanierung des S-Bahnhofes Wollankstraße

Die BVG nahm (ebenfalls nach Sanierung der Nordbahnstrecke) am 1. Oktober 1984 den S-Bahnverkehr wieder bis nach Frohnau auf. Auf den Zügen saßen nun nur noch Westberliner BVG-Triebwagenführer. Da der S-Bahnhof aufgrund seiner geographischen Lage weiterhin zu Ostberlin zählte und damit im Verantwortungsbereich der DR, setzte diese hier nun Ostberliner Eisenbahner der Dienststelle Friedrichstraße ein. Sechs von ihnen waren ehemalige Triebwagenführer des aufgelassenen S-Bahnbetriebswerkes Nordbahnhof. Einer der Gründe hierfür war u.a. der vorhandene Besitz der zur Dienstreise benötigten Paßdokumente.

Die Eisenbahner versahen ihren Dienst immer zu zweit. Das resultierte u.a. aus dem Grund, daß die Westberliner Feuerwehr und Polizei den Bahnsteig nicht mehr betreten durften. Um nun einem hilfsbedürftigen oder erkrankten Fahrgast den Hilfskräften zu übergeben, musste dieser mittels einer Krankentrage bis zum Ausgang auf Westberliner Gebiet transportiert werden. Und da die einen nicht auf den Bahnsteig durften, musste nun ja auch ein zweiter da sein, denn wer sollte sonst das andere Ende der Trage halten?
Die anfallenden polizeilichen Aufgaben wurden weiterhin von der (Westberliner) Bahnpolizei der Deutschen Reichsbahn wahrgenommen. Da diese auch nicht immer überall sein konnte, diente der zweite Mann auch zum Schutz vor tätlichen Übergriffen von Reisenden. Zudem musste jeder auch auf den anderen aufpassen.

Bild: Reichsbahnensemble

Längst Vergangenheit:
Aufsichtsgebäude, Kohlenhaufen, Zug der BR 275, verschlossener Nordzugang und Sv-Selbstblocksignal 35 (7. Januar 1984).

Die An- und Abreise zum und vom Dienstort war genau vorgeschrieben. Die Fahrt erfolgte (außer bei großen Betriebsstörungen) immer mit der S-Bahn zum Bahnhof Friedrichstraße. Verspätung von seitens der Mitarbeiter zogen unmittelbare Konsequenzen nach sich.
Um jeglichen Kontakt zu den nun fremden Eisenbahnern zu unterbinden, durfte die Abfertigung der Züge nicht mehr über Funk erfolgen. Stattdessen wurden die Züge nun mittels Lichtsignale Zp 8 und Zp 9 abgefertigt. Diese hatte die DR bei der Sanierung des Bahnhofes extra aufgestellt. Um Züge im Gefahrenfall noch anhalten zu können, wurden jeweils ca. 70 Meter hinter dem Bahnsteig in beide (Regel-) Fahrtrichtungen ein weiteres Lichthauptsignal (Nr. 37 Richtung Schönholz und Nr. 38 Richtung Gesundbrunnen) mit einer rot markierten Fahrsperre aufgestellt. Im Normalfall waren diese Signale mittels des weißen Kennlichtes betrieblich ausgeschaltet, bei Bedienung im Notfall schaltete das jeweilige Signal auf Halt, die Fahrsperre ging ebenfalls in Haltlage und löste ggf. eine Zwangsbremsung am Zug aus. Um bei einem ausgelösten Nothalt mit dem Triebwagenführer zu kommunizieren, waren an beiden Signalen Lautsprecher angebracht.
Eine ehemalige Aufsicht erinnert sich, das des nächtens sich öfters Angehörige der Grenztruppen der DDR (Grenzkommando Mitte) in voller Ausrüstung auf dem Bahnsteig aufhielten.

Der ganze Spuk endete erst mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989. Drei Tage später, am 12. November 1989 [4] wurde an der Wollankstraße eine neue Grenzübergangsstelle eröffnet - nach über 28 Jahren war der S-Bahnhof nun wieder von Ostberlin her erreichbar.

Bild: ex-Kolonnenweg und Kirschbäume

120 japanische Kirschbäume dienen seit 1991 als Erinnerung an die Berliner Mauer.
Rechts im Bild sichtbar der ehemalige Kolonnenweg der Grenztruppen (31. März 2007).

Aus Freude über die Wiedervereinigung spendeten japanische Bürger zwei Jahre später 120 japanische Kirschbäume, diese wurden feierlich am 9. November 1991 übergeben. Von 1993 - 94 erfolgte eine umfangreiche Sanierung des Empfangsgebäudes. Mit dessen Fertigstellung am 1. Juli 1994 wurde auch der nordwestliche Zugang wieder eröffnet. Nach über 33 Jahren hatte der Bahnhof damit wieder einen direkten Zugang von Pankow her.
In den nachfolgenden Jahren wurde der Bahnbereich zwischen den Bahnhöfen Bornholmer Straße, Pankow, Schönhauser Allee und Gesundbrunnen unter dem Namen Nordkreuz umgebaut und den neuen Erfordernissen angepasst. Um die Bauzustände besser bahnbetrieblich beherrschen zu können, baute die Deutsche Bahn AG im Jahre 1997 zwischen Wollankstraße und Schönholz ein Weichentrapez ein. Gleichzeitig nahm sie den bis dahin bestehenden automatischen Streckenblock mit Sv-Signalen außer Betrieb und neue Signale der Hl-Bauform am 3. November 1997 in Betrieb. Dazu installierte man im Aufsichtsgebäude Wollankstraße ein kleines Stellwerk. Mit Wirkung vom 24. November 1997 wurde aus dem bahnbetrieblichen Haltepunkt ein Bahnhof [5].

Lange blieben Stellwerk und Signaltechnik jedoch nicht in Betrieb: schon vier Jahre später - am 25./26. März 2001 - wurden die Sicherungsanlagen durch ein elektronisches Stellwerk ersetzt. Die Steuerung erfolgt seitdem aus der Betriebszentrale der S-Bahn in Halensee. Gleichzeitig wurde aus dem Bahnhof Wollankstraße ein Bahnhofsteil von Schönholz.

Jahrelang war ein Teil der auf dem Bahnhof tätigen Eisenbahner ein Politikum: sie lebten in der DDR und arbeiteten in Westberlin. Ob das jemals den Fahrgästen bewußt war? Heute braucht sich darüber keiner mehr Gedanken machen: seit 2006 fertigen sich die Triebfahrzeugführer mit ihren Zügen selber ab. Die Bahnhofsaufsicht wurde damit eingespart, die Personalkosten passen nicht zu einem bevorstehenden Börsengang.

Übrigens: der Bahnhof heißt zwar Wollankstraße, hat aber zu dieser keinen direkten Zugang.

Schönholz Bornholmer Straße

Autor:
Mike Straschewski

Quellen:
[1] Berliner Nordbahn; Peter Bley; Verlag Bernd Neddermeyer; 2002
[2] Webseite: Historisches Heimatarchiv Berlin - Pankow
[3] Verkehrsgeschichtliche Blätter; Vor 40 Jahren: Tunnelbau am S-Bahnhof Wollankstraße; Peter Bock; Heft 5/2002; Seite 144
[4] Anatomie der Staatssicherheit - Geschichte, Struktur und Methoden, PDF-Dokument herausgegeben von der BSTU
[5] Kurzmeldung der Verkehrsgeschichtlichen Blätter; Heft 1/1998
Zeitzeugeninterviews

Quellen und weiterführende Buchtipps:
Berlins S-Bahnhöfe; Jürgen Meyer-Kronthaler/Wolfgang Kramer, be.bra Verlag, 1998

weiterführende Links:
Der Bahnhof bei Google Maps

Veröffentlichung:
26. Oktober 2008


letzte Änderung des Textes: 16. April 2008

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