Bild: Stahnsdorf


telegrafisches Kurzzeichen: ehemals Std, laut Ril 100 ist das Kürzel BSTF vorgesehen
eröffnet: 2. Juni 1913 (als Stahnsdorf Friedhof)
elektrischer Betrieb seit: 10. Juli 1928
Zugverkehr wegen Kriegseinwirkungen eingestellt: April 1945
Zugverkehr wieder aufgenommen: 27. Mai 1948
Zugverkehr wegen Bauarbeiten eingestellt: 19. Januar 1953
Zugverkehr wieder aufgenommen: 11. September 1954
Zugverkehr eingestellt: 13. August 1961
Station liegt an der Friedhofsbahn

  Dreilinden

Ende des 19. Jahrhunderts erkannte man für das prosperierende Berlin einen Mangel an Bestattungsmöglichkeiten. Der Berliner Stadtsynodalverband, die zentrale Wirtschaftsverwaltung der evangelischen Kirche, erwarb im Jahr 1902 in Stahnsdorf ein ca. 150 ha großes Gelände für einen Südwestkirchhof. Für die Anreise der Trauernden wie auch den Transport der Toten sah man überwiegend die Eisenbahn vor.

Die Eröffnung des Südwestkirchhofes fand am 28. März 1909 statt. Im August 1911 war der erste Spatenstich der späteren Friedhofsbahn. Die Königlich Preußische und Großherzoglich Hessische Staatseisenbahn (K.P.u.G.H.St.E.) errichtete im Kilometer 4,2 (von Bln-Wannsee aus gezählt) den Bahnhof Stahnsdorf. Die Gleisanlage hatte nur drei Gleise, jedoch war von vornherein ein größerer Ausbau der Station vorgesehen. Ein ca. 220 Meter langer Mittelbahnsteig, umschlossen von den Gleisen 1 und 2, war ein seinem südlichen Ende durch einen vom Empfangsgebäude ausgehenden Tunnel erreichbar. Dieser Tunnel führte weiter unter dem Gleis 2 hindurch auf die Ostseite des Bahnhofes. Unmittelbar südlich des Bahnsteiges schloß sich eine zweigleisige Anlage zum Umfahren der Vorortzüge an. Ihr folgte nach einem Weichentrapez, das sich ca. 300 Meter südlich des Perrons befand, ein Restaurationsgleis für die Dampflokomotiven, die hier Wasser und Kohle aufnehmen konnten. Über ein weiteres Rangiergleis erreichte man bei Bedarf das Ladegleis 7 auf der östlichen Bahnhofseite.

Bild: Empfangsgebäude um 1914

Das Empfangsgebäude des Bahnhofes Stahnsdorf.
Repro aus: Zentralblatt der Bauverwaltung, Heft 84 vom 21. Oktober 1914

Die in Stahnsdorf ankommenden Särge konnten ohne Maschinen auf die Fuhrwerke umgeladen werden. Eine extra gebaute Leichenabfuhrstraße, die sich nördlich des Empfangsgebäudes befand, wurde als Zuwegung zum Südwestfriedhof unter Umgehung des vom Bahnhof erreichbaren Haupteinganges genutzt. Um die Särge zu verladen, lag westlich des Bahnsteiggleises 1 noch ein Gütergleis (Gleis 3), auf dem die ankommenden Güterwagen bereitgestellt wurden. Eine Leichenumladehalle wurde nicht nur für die nötige Pietät errichtet, sondern schützte den Umladevorgang auch vor den Wetterunbilden. Der Bahnhofsvorplatz sorgte aufgrund seiner Gestaltung dafür, dass sich ankommende Gruppen Trauernder entsprechend sammeln konnten.

Am 2. Juni 1913 fand im Bahnhof Stahnsdorf Friedhof die feierliche Eröffnungszeremonie statt; die geladenen Gäste reisten mit einem Sonderzug vom damaligen Berlin Potsdamer Fernbahnhof an. Am folgenden Tag wurden die Strecke und die beiden Stationen für den öffentlichen Verkehr freigegeben.
Über ein Jahr nach der Betriebsaufnahme konstatiert Regierungsbaumeister Roloff aus Stettin:

Die größte Zahl der in vier Wochen angefahrenen Leichen beträgt 122, die größte Zahl der an einem Tag angekommenen 10. In Stahnsdorf-Friedhof werden jetzt alltags, je nach der Zahl der Beerdigungen, 600 bis 1400, Sonntags, wo Beerdigungen nur in besonderen Fällen stattfinden, wo es sich also meist um Gräberbesuchende und Ausflügler handelt, 550 bis 1200 Fahrkarten abgenommen. Am Totensonntag 1913 sind 3870 Personen auf der neuen Friedhofsbahn nach Stahnsdorf gefahren. (…) Zunächst sind die Ziffern des Personenverkehrs jedenfalls zufriedenstellend, wenn man bedenkt, daß an Sommersonntagen auf dem am wenigsten belasteten Haltepunkt Nowawes der Wannseebahn auch nur bis zu 3000 Fahrkarten abgenommen werden. [1]

Zum 4. Mai 1926 benannte die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft die Station in Stahnsdorf Reichsbahn um. Am 10. Juli 1928 hielt der elektrische Zugbetrieb auf der Friedhofsbahn Einzug. Anfangs fuhren sechs Wagenzüge, die aus Erkner bzw. Friedrichshagen kommend auf diese Stichstrecke abgeleitet wurden. Dieser Mischbetrieb mit den dampfbetriebenen Vorortzügen wurde am 22. August 1928 durch den Einsatz zweier Halbzüge - die Baureihe ist leider nicht bekannt - abgelöst; diese beiden Züge verkehrten im elektrischen Vollbetrieb zwischen Wannsee und Stahnsdorf als Zuggruppe M. Diese Zuggruppe verkehrte mindestens ab 1932 nicht an speziellen Sommer-Wochenenden; sie wurde an jenen Tagen durch die Zuggruppe GII (Gustav römisch zwei) mit durchgehenden Zugläufen Mahlsdorf—Stadtbahn—Stahnsdorf ersetzt [2].

Die Friedhofsbahn wurde im Juni 1913 als Hauptbahn ohne Streckenblock in Betrieb genommen. Der Bahnhof Stahnsdorf bekam auf dem Bahnsteig ein mechanisches Weichen- und Signalstellwerk; dieses regelte die Ein- und Ausfahrten im Bahnhof, stellte die beiden Hauptsignale und mehrere Weichen. Eine kleine Weichenstellerbude südlich des Restaurationsgleises stellte die fünf südlichen Weichen. Die Regelung der Zugfolge zwischen Wannsee - hier Fahrdienstleiter Ws - und Stahnsdorf erfolgte ausschließlich durch das Zugmeldeverfahren. Hierbei sprechen sich beide Fahrdienstleiter z.B. über Telefon ab, wer einen Zug zum anderen abfahren läßt. Technisch kann hierbei nicht verhindert werden, daß durch Fehlhandlungen ein weiterer Zug in den belegten Streckenabschnitt einfahren kann. Das änderte sich spätestens ab dem 10. Juli 1928, nachdem aus dem nächstgelegenen Haltepunkt Dreilinden eine Blockstelle wurde. Nun gab es hier auf der Friedhofsbahn einen Streckenblock, der menschliche Fehlhandlungen technisch ausschloß. Stellwerk und Streckenblock blieben bis zum Aus der Strecke in Betrieb.

Bild: alter Bahnsteigrest 2003

Friedhofsruhe auf dem alten Bahnsteig. Der Fotograf befindet sich im ehemaligen Bahnsteiggleis 2 (2. Mai 2003).

Bis kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges - vermutlich bis zum 23. oder 24. April 1945 - verkehrte bis zur Einnahme des Berliner Südwestens durch die Rote Armee auch in Stahnsdorf noch die S-Bahn.
Als am 17. September 1945 der S-Bahnverkehr auf der Friedhofsbahn wiederaufgenommen wurde, blieb Stahnsdorf außen vor. Wegen der zerstörten Brücke über den Teltowkanal fuhren die rot-gelben Züge nur bis Dreilinden. Erst drei Jahre nach Kriegsende war die Reparatur der Brücke abgeschlossen, ab dem 27. Mai 1948 verlängerte die Reichsbahn die Züge wieder nach Stahnsdorf, an diesem Tag verlor der Bahnhofsname zudem seinen Zusatz Reichsbahn. Diese seit September 1945 gefahrenen Zugläufe wurden aus von der Wannseebahn verkehrenden Zügen in einem 40-Minutentakt bedient. Erst ab dem 8. Februar 1950 bekam die Friedhofsbahn wieder eine eigenständige Zuggruppe, jetzt als Zuggruppe VI (römisch sechs) bezeichnet, die nur zwischen Wannsee und Stahnsdorf und weiterhin nur im 40-Minutentakt verkehrte [3],[4]. Es fuhr ein Halbzug der BR 169. Vermutlich im Mai 1951 führte die Reichsbahn den 20-Minutentakt wieder ein [5].

Die Ostberliner Deutsche Reichsbahn legte am 19. Januar 1953 die Strecke wegen Gleisbauarbeiten still. Jedoch fanden nie entsprechende Arbeiten statt. Zwanzig Monate später, am 11. September 1954, ging die Strecke wieder in Betrieb. Anfang 1955 wurde dem bisherigen Fahrzeugumlauf ein weiterer hinzugefügt [6].

Sonntag, 13. August 1961, 1.23 Uhr: Nachdem die vierte Zugfahrt des neuen Sommertages den Bahnhof verlassen hat, startet auch hier im Brandenburgischen die "Operation Rose". Obwohl der schriftliche Befehl des DDR-Verkehrsministers lautet, daß

"ab 1.00 Uhr die Abfertigung jeglicher S-Bahnzüge nach Westberlin einzustellen"

war, wird die ab Bln-Wannsee um 1.14 Uhr abgehende Zugfahrt noch angenommen und nach ihrer Ankunft um 1.21 Uhr zwei Minuten später planmäßig wieder zurückgefahren. Erst danach wird der S-Bahnbetrieb eingestellt. Während in Dreilinden die Signaltechnik umgehend ausgebaut wurde, blieb sie in Stahnsdorf vorerst noch stehen. Dafür verschwand in den ersten Wochen nach dem Mauerbau das Schmetterlingsdach einschließlich der Träger. Diese wurden auf dem S-Bahnhof Warschauer Straße wiederverwendet.
Schon im Dezember 1961 war das Empfangsbäude an einen DDR-Betrieb vermietet. Nach etwas über zwei Jahren nutzte ab Frühjahr 1964 ein neuer Mieter, der VEB Güterkraftverkehr Potsdam die Räumlichkeiten - bis zum Dezember 1973. Danach verfiel die Bausubstanz, so dass schon 1976 das Gebäude gesprengt wurde. Mit dem entstandenen Bauschutt verfüllte man den Personentunnel [8].

Heute findet man an jenem Ort, der einstmals ein Bahnhof war, immer noch das Gebäude der ehemaligen Bahnhofswirtschaft vor - unter neuem Namen und weiterer Nutzung als Restaurant. Der Bahnsteig ist, wenn auch von Sträuchern und Bäumen bewachsen, heute noch vorhanden. Auf dem Vorplatz erinnert eine Stele und ein Formhauptsignal (mit falscher Signalbezeichnung E und kein von der Friedhofsbahn stammendes Signal) an die ehemalige eisenbahntechnische Bedeutung dieses Ortes.

  Dreilinden

Autor:
Mike Straschewski

Quellen und weiterführende Buchtipps:
Die Friedhofsbahn Wannsee-Stahnsdorf; Roloff; Heft 83 vom 17. Oktober 1914
Die Friedhofsbahn Wannsee-Stahnsdorf; Roloff; Heft 84 vom 21. Oktober 1914
[1] Die Friedhofsbahn Wannsee-Stahnsdorf; Roloff; Heft 84 vom 21. Oktober 1914
Die damalige Station Nowawes heißt heute Babelsberg.
[2] Betriebsführung der S-Bahn nach 1928; Bernd Kuhlmann; Verkehrsgeschichtliche Blätter; Heft 4/1978
[3] Webseite Zuggruppenchronik von Holger Prüfert; 1. Quartal 1950
[4] Wannsee-Stahnsdorf: Eine S-Bahnstrecke im Abseits; Wolfgang Kiebert; Verkehrsgeschichtliche Blätter Heft 6/2009
[5] ebenda
[6] ebenda
[7] Stahnsdorf und kein Ende… Erinnerungen an eine legendäre S-Bahnstrecke; diverse Autoren; Verkehrsgeschichtliche Blätter; Heft 2/2011
[8] Wannsee-Stahnsdorf: Eine S-Bahnstrecke im Abseits; Wolfgang Kiebert; Verkehrsgeschichtliche Blätter Heft 6/2009
Berlins S-Bahnhöfe; Jürgen Meyer-Kronthaler/Wolfgang Kramer, be.bra Verlag, 1998

weiterführende Links:
Bahnstrecken im Süden Berlins
Ringschluss von Teltow über Stahnsdorf bis Wannsee
Der Bahnhof bei Google Maps

Veröffentlichung:
11. Mai 2014 (neue Version); 26. Oktober 2008 (vorherige Version)


letzte Änderung des Textes: 11. Mai 2014

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