Bild: Pichelsberg


telegrafisches Kurzzeichen: BPIC, vormals Pich
eröffnet: 5. September 1911
elektrischer Betrieb seit: 23. August 1928
Zugverkehr eingestellt: 19. September 1980
Zugverkehr wieder aufgenommen: 16. Januar 1998
Station liegt an der Spandauer Vorortbahn

Stresow Olympiastadion

Mit dem Bau der Spandauer Vorortbahn ging auch die weitere Urbanisierung des Grunewaldes vonstatten. Dort, wo einst rund um den 62 Meter hohen Pichelsberg in den Wäldern westlich von Berlin Pech (etymologisch abgeleitet von pitu bzw. pich) gewonnen wurde, sollten aufgrund der fortschreitenden Industrialisierung gegen Ende des 19. /Anfang des 20. Jahrhunderts weitere Wohngegenden entstehen. Unterstützt wurden diese Vorhaben durch die Planung der Königlichen Eisenbahnverwaltung, quer durch das Waldgebiet eine neue Bahnlinie zu bauen, die die Verkehre auf den vorhandenen Bahnstrecken (Lehrter bzw. Hamburger Bahn) zwischen Berlin und Spandau entlasten sollten.

Die Verantwortlichen der Stadt Charlottenburg planten in unmittelbarer Umgebung der neuen Station eine Villenkolonie. Da dadurch ein eher ländlicher Charakter in der Gegend Einzug hielt, wurde das Empfangsgebäude entsprechend durch den Architekten Ernst Schwartz landhausmäßig geplant und gebaut. Das eigentliche Hauptgebäude stand südwestlich an der ebenfalls im Jahre 1911 neuerbauten Brücke der späteren Schirwindter Allee und wurde in die dortige Bahnböschung hinein gebaut.

Bild: Empfangsgebäude

Ansicht des Empfangsgebäudes vom Vorplatz aus. Links der Hauptzugang zur Station (1911).
Repro aus: Zentralblatt der Bauverwaltung; Ausgabe vom 27. April 1912.

Im Erdgeschoß (auf Straßenniveau) lagen die Diensträume und die Schalterhalle, die wiederum mit fünf Fahrkartenschaltern sowie einem Gepäckschalter versehen war. Während die Diensträume Linoleum erhielten, wurden auf den Fußböden der öffentlichen Bereiche entsprechend dem zu erwartenden Publikum granitartige Terrazzoplatten verlegt, von denen einige farbige und gemusterte Einlagen erhielten. Vier achtflammige Leuchten erhellten das Gebäude bei Dunkelheit im Innern mit Licht, weitere einflammige Leuchten im Bereich der Fahrkartenschalter sowie der Schaffnerwannen sorgten für eine zusätzliche Beleuchtung.

Die Dienstwohnung des Stationsvorstehers lag im ersten Untergeschoß und war innerhalb der Böschung eingebaut. Darunter, aber auch noch über der Erde, befanden sich die Kellerräume. Die Wände des Empfangsgebäudes sowie des Bahnsteigzuganges wurden massiv mit Steinen und wenigen Einbauten eines Holzfachwerkes ausgeführt. Die Bodensockel bestanden aus Rüdersdorfer Kalkstein, die restlichen Putzflächen wurden gelblich gespritzt. Das wenige Holzfachwerk wurde mit Ochsenblut gestrichen, das durch ein wenig Zusatz von Kalk eine graubraune Färbung annahm. Die Holzrahmen der Fenster waren weiß, alles übrige Holzwerk wie z.B. die Türen waren grünlich lasiert. Die Regenrinnen und Abfallrohre erhielten ebenfalls eine grüne Farbe.

Abgehend in nördlicher Richtung verband ein knapp 6 Meter langer Verbindungsgang das Hauptgebäude mit dem eigentlichen Bahnsteigzugang. Nach 44 Stufen wurde der Bahnsteig bzw. die Bahnsteigsperre erreicht. Unter dieser Treppe befanden sich die Aborte für die Reisenden. Der Bahnsteig selber ist ein fast komplett überdachter Mittelbahnsteig und liegt in einer Kurve. Auf dem Bahnsteig befanden sich neben dem üblichen Mobiliar auch ein Warteraum für Reisende sowie ein Dienstraum für die Aufsicht. Die Kosten für den Bahnhofsneubau beliefen sich auf ca. 90.000 Mark.

Bild: Blick zum Empfangsgebäude

Auf diesem Bild erkennbar, wie das Empfangsgebäude in die Böschung hineingebaut wurde. Links der Warteraum für die Reisenden (1911).
Repro aus: Zentralblatt der Bauverwaltung; Ausgabe vom 27. April 1912.

Im Rahmen der Großen Elektrisierung wurde der Betrieb auf der Spandauer Vorortbahn am 23. August 1928 eingeführt. Anfangs ließ die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft nur vier der neuartigen Züge auf dieser Strecke verkehren, erst ab dem 7. Oktober wurde der volle elektrische Betrieb nach Spandau West aufgenommen. [1]

Der Einbau einer westlichen gelegenen und zweigleisigen Kehranlage wurde in Vorbereitung der XI. Olympischen Spiele im Jahre 1935 vollzogen. Gleichzeitig unterzog man das Empfangsgebäude einer kleinen architektonischen Überarbeitung, hierbei erweiterte man die Fahrkartenausgabe und die Bahnsteigsperren. [2] Im Vorfeld des Großereignisses ließen die Nationalsozialisten in unmittelbarer Umgebung nicht nur das Polo- und Reiterfeld für bis zu 50.000 Zuschauer errichten, sie beauftragten Werner March, dem Erbauer des Olympiastadions, mit dem Bau einer Freilichtbühne (der späteren Waldbühne) für über 20.000 Zuschauer am Rande der Murellenschlucht. [3] Aufgrund deren Fertigstellung sowie dadurch ermöglichter Programmänderungen (hier fanden u.a. die Boxwettkämpfe statt) errichtete die Deutsche Reichsbahn noch im Jahre 1936 am Westende des Bahnsteiges "im Gewächshausstil" eine neue Fußgängerbrücke. Diese führte über das stadtauswärtsliegende nördliche S-Bahn-Gleis nur in Richtung der Freilichtbühne. Zudem erhielt die Station eine Lautsprecheranlage, um die Fahrgastströme entsprechend leiten zu können. [2]

Wie danach die Geschichte weiterging, ist allseits bekannt: die Nationalsozialisten verloren den von ihnen angezettelten Zweiten Weltkrieg. Aufgrund der Bombardierung durch die Alliierten wurde das Empfangsgebäude stark zerstört, jahrelang erinnerte nur noch ein Fragment an die einstige Herrlichkeit. Die DR mußte später aufgrund der Schäden den gesamten Eingangsbereich sowie die Dachkonstruktion abreißen, nur noch der böschungsseitige Gebäudeteil blieb erhalten. Schon am 9. Juni 1945 fuhr die S-Bahn wieder, wenn auch nur vormittags und nachmittags jeweils ein Zug. [4] In den nachfolgenden Jahren rappelte sich die S-Bahn wieder auf, die Fahrgastzahlen stiegen - bis zum 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaues. Ab sofort konnte die seit knapp zehn Jahren bestehende westliche Endstation Falkensee nicht mehr erreicht werden. In den nachfolgenden Tagen formierte sich als Protest der S-Bahnboykott, dessen Auswirkungen sind wohlbekannt. Die Fahrgastzahlen sanken im gesamten Westberliner Netz rapide. Ab sofort war es verpönt, mit der S-Bahn zu fahren. Einzig zu Veranstaltungen in der Waldbühne stieg das Fahrgastaufkommen nochmals an, erreichte aber nie mehr die Werte der vergangenen Zeiten. Aufgrund der aus dem Boykott fehlenden Einnahmen beschränkte sich die Deutsche Reichsbahn auf das Nötigste, die Station verkam nach und nach. Man möchte es schon fast als Gnadenschuß beschreiben: mit dem Ende des Reichsbahnerstreikes vom September 1980 wurde der Verkehr auf der Spandauer Vorortbahn nicht wiederaufgenommen, die Station wurde geschlossen. Der nun einsetzende Vandalismus gab ihr den Rest. Die VdeR verfügte Anfang 1987, daß die westliche Fußgängerbrücke zur Waldbühne inklusive ihrer Bahnsteigtreppe abgerissen wurde. [5] Aus und vorbei - nur noch ein kümmerlicher Rest verblieb mitten im Grunewald.

Bild: Tristess mitten im Grunewald

Blick von Höhe des ehemaligen Stellwerkes Pwt auf das Gleis 2. Über dem Bahnsteigensemble erhebt sich das klägliche Fragment des Empfangsgebäudes (April 1984).

Seit Januar 1984 oblag die Durchführung des S-Bahnverkehres in Westberlin der BVG. Aufgrund der Fahrzeug- und Personallage sowie des Sanierungsbedarfes sah diese vor 1994 keine Möglichkeit, die Strecke und Bahnhöfe der Spandauer Vorortbahn wieder zu eröffnen. Neue Bahnträume auf eine schnelle Wiederinbetriebnahme kamen nach der Maueröffnung vom 9. November 1989 auf - und zerstoben wieder. Wichtig war nun, daß der Großteil der Bahnanlagen Berlins einer gründlichen Sanierung unterzogen werden mußten. So kam es, daß aufgrund der baubedingten Sperrung des Fernbahngleises zwischen Heerstraße und Ruhleben die stillgelegte S-Bahntrasse zwischen Eichkamp und Spandau zumindest für die Züge der Fernbahn herhalten mußte. Die alten Gleise wurden entfernt und ein Gleis neu aufgebaut. Ein Teil der S-Bahnhöfe wurde abgerissen. Ab dem 26. Juni 1994 benutzten die Züge der Fernbahn bis zum 17. September 1995 die alte S-Bahntrasse. Nach diesem Umleiterverkehr riß man 1995/96 das extra neu gelegte Fernbahngleis, auch aufgrund seiner großzügigeren Verlegung, wieder ab. Und wieder kehrte Ruhe ein...

Bild: Neutrassierung der Strecke

1994 begannen die vorbereitenden Maßnahmen für die vorübergehende Verlegung des Fernbahngleises zwischen Heerstraße und Spandau. Obwohl für die S-Bahn noch kein genauer Zeitpunkt der Wiederinbetriebnahme vorlag, wurde schon einmal die Bahnsteigkante neu verlegt. Vom alten S-Bahnhof stehen nur noch die Dachstützen sowie der Zugang von der Schirwindter Allee. (1994)

Bis zum Jahre 1997. Jetzt begannen die ersten Baumaßnahmen, sah man doch von seitens der Deutschen Bahn AG, dem Rechtsnachfolger der Deutschen Reichsbahn, vor, den Streckenabschnitt Westkreuz - Pichelsberg im Dezember 1997 wiederzueröffnen. Der Termin wurde nur um wenige Tage verfehlt: am 16. Januar 1998 nahm die S-Bahn ihren Betrieb von Westkreuz kommend, wieder auf. Der Bahnsteig, dessen Aufbauten und seine Zugangstreppe von der Schirwindter Brücke her sind komplette Neubauten, viel ist von der alten Substanz nicht übernommen wurden. Die einstmals zweigleisige Kehranlage wurde nur mit einem Gleis wieder aufgebaut. Wie schon bei ihrer ersten Eröffnung (auch wenn er damals nicht gebraucht wurde) fehlte auch hier anfangs der westliche Abgang zur (damals nicht vorhandenen) Waldbühne. Dessen Neubau wurde für Ende 1999 angekündigt und erst im Jahre 2001 angefangen. Am 1. März 2002 wurde er seiner Bestimmung übergeben. Zwar errichtete man ihn ohne den Anflug einer Architektur im Gewächshausstil, dafür erhielt er einen neuen Zugang zur südlich gelegenen Tharauer Allee. Seit dem 30. Dezember 1998 ist Pichelsberg nicht mehr Endstation für die planmäßigen Züge, diese verkehren seitdem via Stresow zum heutigen Endbahnhof Berlin-Spandau.

Stresow Olympiastadion

Autor:
Mike Straschewski

Quellen und weiterführende Buchtipps:
Berlins S-Bahnhöfe; Jürgen Meyer-Kronthaler/Wolfgang Kramer, be.bra Verlag, 1998
[1] Große Elektrisierung von 1928 - 1929; Herausgeber: Freizeitgruppe Bahnstromanlagen S-Bahn Berlin; Juni 2008
[2] Die Reichsbahn im Dienst der XI. Olympischen Spiele Berlin 1936; Die Reichsbahn; 1936
[3] Webseite: www.berlin.de/orte/sehenswuerdigkeiten/waldbuehne
[4] Berliner Eisenbahnverkehr vor 35 Jahren; Wolfgang Roggisch; Verkehrsgeschichtliche Blätter Heft 4/1980
[5] Berliner Verkehrsblätter; Kurzmeldung, Heft 5/1987
Der neue Bahnhof Pichelsberg, Lücking, Zentralblatt der Bauverwaltung vom 24. April 1912
Webseite: www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/bezirk/lexikon/pichelsberg.html
Berliner Verkehrsblätter; Kurzmeldung, Heft 5/2002
Die S-Bahn erreicht wieder Pichelsberg; Jürgen Meyer-Kronthaler; Berliner Verkehrsblätter; Heft 3/1998

weiterführende Links:
Der Bahnhof bei Google Maps

Veröffentlichung:
17. Januar 2010


letzte Änderung des Textes: 17. Januar 2010

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