Das elektronische Stellwerk (ESTW)


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Was macht das elektronische Stellwerk anders?

Das elektronische Stellwerk (ESTW) macht zunächst nichts anderes als die vielen kleinen Stellwerke aus der alten Zeit. Lediglich die Verbindung zwischen den Außenanlagen (Weichen, Signale, Streckenanschläge, Achszähler und Gleisstromkreise) zur Bedienoberfläche unterscheidet sich. Die Wirkungsweise ist jedoch identisch: Es besteht weiterhin eine Signalabhängigkeit und eine Blocktechnik regelt die Zugfolge.

Der gravierende Unterschied liegt darin, dass die Stellgrenzen unbegrenzt weit entfernt liegen können. So lassen sich heute von einem Bedienplatz beispielsweise 30 Kilometer S-Bahnstrecke überwachen und steuern. Zudem unterstützt ein Zugnummernrechner die Arbeit des Fahrdienstleiters. Durch die Zugnummer erkennt die Anlage im Automatikbetrieb anhand des gespeicherten Fahrplans, welche Fahrstrassen für jeden einzelnen Zug automatisch eingestellt werden sollen. So muss der Fahrdienstleiter weniger manuelle Bedienhandlungen ausführen. Die Stellbereiche können dadurch vergrößert werden.

Wie sieht die Planung aus?

Grundsätzlich plant die Deutsche Bahn AG den weiteren Ausbau der elektronischen Zugleittechnik. Etwa bis 2012 ist es vorgesehen, den gesamten Zugverkehr der Deutschen Bahn AG von den 8 Betriebszentralen im Netz zu steuern. Die Berliner S-Bahn wird dann komplett aus der Betriebszentrale (alte Schaltwarte [6]) in Halensee (am Westkreuz) gesteuert.

Das gesamte Netz der Berliner S-Bahn wird in 3 Steuerbezirke aufgeteilt: [13]

Die Linien S8 und S9 durchfahren den Streckenbereich zweier Steuerbezirke.
Je Steuerkreis stehen 4 Bedienplätze zur Verfügung (zuzüglich einiger Reserve-Bedienplätze). Jeder Steuerbezirk besteht aus mehreren Unterzentralen (Uz), die sich zwischen den Bedienern je nach Arbeitsaufkommen frei aufteilen lassen.

Bild: Karte Projektbau

Jeder Farbabschnitt entspricht einer Unterzentrale (ESTW-Z). Eine Unterzentrale besteht aus mehreren abgesetzten Stationen (ESTW-A).
Grafik: DB Projektbau 2003 aus [15]

Wie funktioniert ein ESTW?

Bei der Berliner S-Bahn kommen derzeitig zwei ESTW-Bedienplatzsysteme zum Einsatz. Bis etwa 1995 wurde das Bedienplatzsystem 900 gebaut, die späteren Stellwerke mit der Bedienoberfläche 901. Die Abkürzung EL steht für "Elektronisches Stellwerk", das -S für "Siemens". Die beiden Systeme 900 und 901 unterscheiden sich im Aufbau und in der Bedienführung. Das ESTW ist ein System aus mehreren Rechnerebenen, um den Anforderungen der Aufsichtsbehörde zu entsprechen.
So muss stets bei jeder Eingabe das Rechnersystem die Eingabe auf Logik überprüfen, und eine Zuggefährdung ausschließen. So wird bei den ESTW das SIMIS-Prinzip angewendet. Mindestens zwei von einander unabhängig aber identisch programmiert arbeitende Rechner bearbeiten die Eingabekommandos. Die Ergebnisse werden verglichen und nur dann ausgeführt, wenn mehrheitlich eine Übereinstimmung der Ergebnisse vorliegt.

Die Bereichsübersicht

Generell hat der Bediener bei beiden Systemen die Möglichkeit auf einer skizzierten Bereichsübersicht (Berü) den Betriebsablauf zu beobachten. Hier kann der Bediener jedoch keine Details der Anlage erkennen. Zwar erkennt er, ob ein Signal einen Fahrt-, oder einen Haltbegriff zeigt, aber nicht ob etwa ein "Halt erwarten" signalisiert wird. Ebenso kann er die Stellung der Weichen nicht erkennen. Die Berü dient einzig nur dem allgemeinen Überblick über den gesamten Streckenverlauf.

Bild: Bereichsübersicht

Foto: Sammlung Jurziczek

Das Lupenbild

Ebenso bei beiden Bedienplatzsystemen lassen sich die einzelnen Bereiche der Außenanlage vergrößern und auf einem Lupenbild darstellen. Hier sind nun alle Details der Anlage erkennbar: die aktuelle Lage der Weiche, die Signalbegriffe Hp0, Ks1, Ks2 und Ra12 sowie die Zusatzsignale Zs1, Zs8 oder Zs7 und das Kennlicht.

Auf dem Lupenbild sind zudem die bei einer Zugfahrstraße unter Verschluss gehaltenen Gleisabschnitte erkennbar, der Status der Zugfahrstrasse ist ebenso hier detailliert erkennbar (Festlegeüberwachungsmelder FÜM = grünes Quadrat am Fahrstraßenstart, Zielfestlegemelder ZFM = grüner Punkt am Fahrstraßenziel) [1]. Für die Ausführung von Hilfshandlungen ist die Aufschaltung des entsprechenden Lupenbildes erforderlich (auch hier gibt es Unterschiede zwischen den Systemen).

Bild: Lupenbild

Foto: Sammlung Jurziczek

Die Eingabe

Hier unterscheiden sich die beiden Bedienplatzsysteme voneinander: Grundsätzlich erfolgt die Eingabe der Eingabekommandos bei dem älteren Stellwerkstyp 900 über ein Grafiktablett. Über einen Frequenzstift können die Eingabebefehle durch das Abgreifen der entsprechend markierten Eingabefelder selektiert werden. Dem Bediener stehen mehr als 300 Befehle (unterschiedlich je nach örtlichen Gegebenheiten) zur Eingabe zur Verfügung [4], um Fahrstrassen einzustellen und zahlreiche andere Funktionen einzuleiten.

Bild: Bedientablett

Bedientablett WKF; Foto: Sammlung Jurziczek

Die Bedienoberfläche

Am Bedienplatz des Fahrdienstleiters befinden sich die Monitore zur Aufschaltung der Berü- und Lupenbilder. Für die Zulenkung (Zuglenkmanager ZLM 900) gibt es beim Bedienplatzsystem 900 einen Monitor zur Eingabe der Fahrplandaten, beim Bedienplatzsystem 901 steht jedem Bedienplatz der Monitorbild der Gleisbenutzungstabelle (GBT) [9] optional zur Verfügung. Auf die weiteren Monitorbilder soll hier nicht weiter eingegangen werden (Dokumentation, Kommunikationsanzeige, PSD-Spiegel (Protokoll- u. Störungsdrucker), Verbindungsstatus, Sammel- und Betriebsmelder-Bild). Dazu je nach Bauform ein Bedientablett mit Stift oder eine Maus zur Eingabe der Bedienkommandos. Jegliche Zugbewegungen und kritische Bedienhandlungen werden von einem Drucker (System 900) oder elektronischen Datenträger (System 901 BZ) protokolliert.

Der Weg von der Bedienoberfläche zur Außenanlage

Die Rechnerkonfiguration ist besonders bei den neueren Anlagen recht komplex geworden. Zur weiteren Vertiefung sei der Hinweis zur weiterführenden Literatur am Ende des Textes empfohlen. Für jede ESTW-Z existiert ein EKIR (Eingabe-, Kontroll- und Interpretations-Rechner), ein Bedien- und Anzeigerechner (BAR 16) und ein oder mehrere ESTW-A (abgesetztes Stellwerk). Der Stellbereich eines ESTW-A ist wiederum in mehrere Bereichsstellrechner unterteilt. Den EKIR kann man als Hauptrechner bezeichnen. In diesem sind die festen Daten zur Anlage gespeichert. Der BAR 16 verteilt die Eingabekommandos des Bedieners (vom Bedienplatzrechner erhaltend) oder der Zuglenkung an die entsprechenden Unterstationen. Hier werden auch die Rückmeldungen der Außenanlagen an die Rechner zur Bilddarstellung weitergereicht (je nach Bedienplatzsystem verschieden). Die Signalabhängigkeit wird ebenso hier nach dem SIMIS-Prinzip garantiert wie die Blocküberwachung.

Die ESTW-A haben eine Stellweite von rund 4,5 Kilometern, also einem 9 Kilometer-Radius. Sie sind über Datenkabel mit dem ESTW-Z verbunden, erhalten von dort ihre Stellbefehle. Die ESTW-A überwachen nur die Zustände der Außenanlagen (Signale, Weichen, Streckenanschläge, Bahnübergänge, Gleisstromkreise und Achszähler ...), und melden ständig den jeweiligen Status an das ESTW-Z. Der Stellbereich eines ESTW-A ist in weitere kleine Bereichsstellrechner eingeteilt.
Die Zuständigkeiten der Arbeitsplätze kann in den Steuerkreisen flexibel variiert werden, sodass bei einem erhöhten Arbeitsaufkommen eines Arbeitsplatzes die übrigen Bedienplätze entlastend wirken können. Diese Funktion ist nur den BZ-fähigen (Betriebszentralenfähigen) Bedienplätzen möglich [10]. Daraus ergeben sich Besonderheiten in der Zuständigkeit der abgegebenen Lupenbilder, die hier nicht weiter beleuchtet werden sollen.

Die Zuglenkung

Grundsätzlich sind bei beiden Bedienplatzsystemen die regulären Fahrplandaten eingegeben. Das heißt, die planmäßig verkehrenden Züge werden durch die in der Zuglenkung programmierten Daten gelenkt. Beim System 900 wird dieses durch eine Lenkziffer (0-9) realisiert, die der eigentlichen Zugnummer vorangestellt ist. Der Zuglenkmanager (ZLM) liest die Lenkziffer des Zuges ab, und stellt entsprechend der Projektierung die Fahrwege ein. Die ZLM kann in jedem Meldeort die Lenkziffer eines Zuges einmalig verändern. Pro Meldeort können nur max. 3 verschiedene Fahrstrassen zur Auswahl gestellt werden.

Beim Bedienplatzsystem 901 sind ebenfalls die Fahrplandaten in der Anlage (GBT, Gleisbenutzungstabelle) eingearbeitet. Die GBT orientiert sich allerdings nicht an den recht unflexiblen Lenkziffern, sondern direkt an der Zugnummer. So sind hier einige weitere Lenkkriterien (Wartezeit, Rangfolge, besondere Ladung, Geschwindigkeit und Stellzeiten) abrufbar. Zudem kann der Bediener den Zuglauf im Vorfeld (bis zu 6 Stunden vorher) manuell abändern und so auch unplanmäßige Routen im Zuglenkbetrieb fahren oder Kriterien eingeben. Es ist auch möglich, die Fahrtroute vorher grafisch anzeigen zu lassen. Dieses Zuglenksystem kann auch Fahrten auf dem Gegengleis und Rangierbewegungen lenken und nahezu alle Fahrmöglichkeiten abarbeiten.


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Autoren:
Markus Jurziczek, Mike Straschewski

Quellen und weiterführende Buchtipps:

[1] Zeitschrift "Signal und Draht", Ausgabe 7+8 2001, von Patrick Engelbart: "Hochrüsten von ESTW für die Anbindung an eine Betriebszentrale"
[2] Holger Kötting, www.stellwerke.de, Erläuterung der verschiedenen Stellwerkstechniken
[3] Steffen Buhr, www.blocksignal.de, Erläuterung der Block- und Signaltechnik
[4] Hans-Joachim Zoeller, Handbuch der ESTW-Funktionen, Tezlaff Verlag, 2002, ISBN 3-87814-802-X
[5] Der elektrische Betrieb auf der Berliner S-Bahn, Band 7: Sicher ist Sicher; Manuel Jacob; Verlag Bernd Neddermeyer; 2000
[6] Richard Brademann (1884-1965) - Architekt der Berliner S-Bahn; Susanne Dost; Verlag Bernd Neddermeyer; 2002
[7] Siemens Firmenhomepage www.siemens.de/ts
[8] Dipl.-Ing. Ulrich Maschek, TU Dresden, www.maschexx.de/estw/estw.htm
[9] Jörg Bormet, EisenbahnIngenieur, Ausgabe 6/2002 "Funktion der fahrplanbasierten Zuglenkung für Betriebszentralen"
[10] Werner Oberländer, EisenbahnIngenieur, Ausgabe 7/2002 "Fahrdienstleiter-Arbeitsplätze in Betriebszentralen der Deutschen Bahn"
[11] Josef Löwe, EisenbahnIngenieur, Ausgabe 4/2001 "Ersatz der mechanischen Fahrsperren durch Balisen bei der S-Bahn Berlin"
[12] Dr.-Ing. Hans-Jürgen Arnold, Transpress Verlag 1987 "Eisenbahnsicherungstechnik", ISBN 3-344-00152-3
[13] Der elektrische Betrieb auf der Berliner S-Bahn, Band 6: Das Netz wächst zusammen; Manuel Jacob; Verlag Bernd Neddermeyer; 2004
[14] Günther Götz in "Die Berliner S-Bahn", Transpress-Verlag 1968
[15] Dipl.-Ing. Günther Ruppert, Dipl.-Ing. Wolfgang Feldwisch, Eisenbahntechnische Rundschau "Grunderneuerung der S-Bahn Berlin, Stand und Erfahrungen im Betrieb und Bau", Ausgabe 11/2003

weitere Buchtipps:
Systemtechnik des Schienenverkehrs; Jörn Pachl; Verlag B.G.Teubner Stuttgart; 2. Auflage 2000
Sicher auf den Schienen; Hans Pottgießer; Birkhäuser Verlag; 1988

weiterführende Links:
Webseite: www.stellwerke.de
Webseite: www.blocksignal.de

letzte Änderung:
4. März 2014

Veröffentlichung:
26. Oktober 2008

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