Arbeiten im Schaltwerk Schöneberg


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Mein Vater Anton Nowak hatte vor dem Krieg für nur kurze Zeit die Beuth-Schule in Berlin besucht, musste das Studium aber aus finanziellen Gründen abbrechen. Nach dem Krieg legte er die Meisterprüfung im Elektrohandwerk ab. Er war sicher ein hervorragender Fachmann aber weniger geschäftstüchtig, außerdem gab es so kurz nach dem Krieg in Ostberlin fast keine Waren. Er gab sein eigenes sehr kleines Elektro-Geschäft auf. Bei der Bahn musste er von der Pieke auf ran.

Zunächst vielleicht drei Monate bei Gleisbauarbeiten an der Stromschiene arbeiten. Dann wurde er als Springer in den einzelnen unterschiedlichen Schaltwerken eingesetzt. Das nötige Wissen erarbeitete er sich zu Hause durch intensives Literaturstudium. Soweit ich mich entsinne gab es Schaltwerke in Halensee, Siemensstadt, Schöneberg, ich glaube auch in Lankwitz, Nikolassee und sicher noch andere. Dann wurde er fest im Schaltwerk Schöneberg angestellt, wo er später auch zum Schaltmeister befördert wurde. Die Arbeitszeiten waren Frühschicht von 6 bis 14 Uhr. Nachmittagsschicht von 14 bis 22 Uhr und Nachtschicht von 22 bis 6 Uhr. Alle vier Wochen gab es ein langes Wochenende, ich glaube Samstag und Sonntag von 10 bis 22 Uhr, als Ausgleich aber auch dienstfreie Tage.

Das Aufgabengebiet eines Schaltmeisters bestand hauptsächlich in der Ein- und Abschaltung der Stromschienen. Einzelne Abschnitte mussten bei Wartungsarbeiten im Gleisbett oder an der Stromschiene selbst, aber auch bei defekten Zügen oder Triebwagen, Unfällen, sehr oft vor allem Silvester und zu Weihnachten, abgeschaltet werden. Jede Schaltung im 30 Kilovolt-Raum musste mit sehr genauer Zeitangabe und den vorliegenden Gründen protokolliert werden. Oft war die telefonische Absprache mit dem Aufsichtspersonal der einzelnen Bahnhöfe erforderlich.

Zwar hatten die einzelnen Reparaturkolonnen Prüfgeräte zur Feststellung, ob eine Stromschiene unter Spannung steht oder nicht. Aber weder auf die Prüfgeräte noch auf das Personal war absoluter Verlass. Eine falsche Schaltung konnte Menschenleben kosten. Auch im Schaltraum war es recht gefährlich, wenn falsche Schaltungen durchgeführt worden wären. Auch wenn Schalter gereinigt wurden. Ich glaube vor allem wegen der Kurzschlussgefahr. Der Verkehr ganzer Gleisabschnitte wäre zum Erliegen gekommen. Ich erinnere mich gut, dass 1960, also noch vor dem Mauerbau, eine bestimmte Schaltungsserie von der Bahndirektion für einen bestimmten Termin angeordnet wurde. Mein Vater rechnete zu Hause nach, da ich in Mathematik sehr gut war, sollte ich alle Formeln noch einmal kontrollieren. Ich kam auf die gleichen Werte. Dass bedeutete nach Aussage meines Vaters, dass es bei dieser Schaltung einen derartigen Kurzschluss geben würde, das ganz Westberlin eine Weile ohne Strom wäre. Er schrieb an die Direktion, die vorgesehene Schaltung wurde korrigiert, mein Vater bekam eine recht hohe Gehaltsprämie, wurde auch Gruppenleiter in Schöneberg. Er war Beisitzer einer Schiedskommission, wenn Unfälle oder Schäden oft durch Disziplinlosigkeit verursacht wurden; stellte sich aber so gut es ging immer auf die Seite des Personals. In der Zeit kurz vor, am und nach dem 13. August 1961 war er im Krankenhaus.

Nach seiner Gesundung erhielt er vom Bahnhofspersonal in Berlin-Blankenburg einen Passierschein nach Westberlin ausgehändigt. In den ersten Monaten nach dem 13. August 1961 konnte er noch die Bahnsteige verlassen und sich mit Westberliner Verwandten treffen. Das wurde bald geändert, das Zeitfenster von Arbeitsbeginn bis Arbeitsende genau abgesteckt und alle Zeiten in seinen Pass eingetragen. Seine Kollegen, ausschließlich Westberliner mit denen er sich recht gut verstand, halfen manchmal mit kleinen West-Geldbeträgen. Ich meine, dass mein Vater bis zu seinem Ausscheiden 1972 keine 2 Westmark bekam, darüber wurde nur diskutiert. Es muss nicht einfach gewesen sein, die Urlaubsberichte seiner Kollegen aus Spanien und Übersee zu hören, Dinge die für ihn und seine Familie unerreichbar waren. Die Nachtschichten und die langen Fahrzeiten und Kontrollen zum Dienst bewogen meinen Vater, der ja mit Leib und Seele bei der Bahn war, seinen Dienst bei Eintritt in das Rentenalter zu quittieren.

Bild: Arbeitsweg Nowak

Grün: Arbeitsweg vor dem 13. August 1961.
Rot: Arbeitsweg ab ca. ¼ bis ½ Jahr nach dem 13. August 1961 mit Umsteigen in Ostkreuz und langes Umsteigen und Kontrolle im S-Bahnhof Friedrichstraße.
Kartenverwendung mit freundlicher Genehmigung von S-Bahn-Galerie.de


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Autor:
Klaus Nowak

letzte Änderung:
1. Oktober 2017

Veröffentlichung:
1. Oktober 2017

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