Nach dem Ende des 2. Weltkrieges war der Fahrzeugpark bedingt durch Kriegsverluste und Reparationsleistungen stark geschrumpft. Gleichzeitig erreichte die Hälfte des Wagenparks bereits das 15. Betriebsjahr.
Nachdem die Betriebsführung der Berliner S-Bahn in der Nachkriegszeit im Einvernehmen mit dem vier Alliierten der Deutschen Reichsbahn (DR) zugesprochen wurde, begannen bald darauf entsprechend der Vorgaben der Planungskommissionen, die Modernisierungsvorhaben am Triebfahrzeugpark. Im technischen Zentralamt der DR bildete sich eine Kommission welche unter den ökonomischen Vorgaben des Ministeriums für Verkehrswesen einen S-Bahnzug konstruieren sollte.
Auf einer Fahrzeugausstellung zum 10. jährigen Bestehen der DDR auf der Straße Unter den Linden am 1. September 1959 war das Blaue Wunder zum zweiten Mal für die Öffentlichkeit zugänglich.
Zu den Vorgaben gehörte unter anderen die Verwendung von Jakobsdrehgestellen, der Bau von dreiteiligen Zügen und eine Spannungserhöhung von 750 auf 1500 Volt. Die Verwaltung der S-Bahn kritisierte die Verwendung von Jakobsdrehgestellen und Drittelzügen aufgrund technischer Schwierigkeiten bei Entgleisungen im Nordsüd-S-Bahntunnel, der Neukonstruktion von Aufarbeitungsständen im Reichsbahnausbesserungswerk Schöneweide (Raw Sw) und der ungünstigen Masse/Längenverteilung. Eine Spannungserhöhung war außerdem mit sehr hohen Kosten verbunden und wurde deshalb bis zum vollständigen Verzicht zu Beginn der neunziger Jahre immer wieder verschoben.
Während der Konstruktionsphase setzte sich die traditionelle Viertelzugbildung durch, jedoch mit dem Unterschied, dass als Betriebseinheit ein durchgängig begehbarer Halbzug gefertigt werden sollte. Trotz der Einwände der Verwaltung S-Bahn wurden Jakobsdrehgestelle bei den beiden Halbzügen jeweils zwischen dem 1. und 2. Wagen verwendet. Dies war ein wesentlicher Grund, weshalb zum späteren Zeitpunkt die ab 1959 als Baureihe 170 bezeichneten Probehalbzüge stiefmütterlich behandelt worden sind. Ein weiterer Grund waren die eingegangenen Kompromisse bei der Fertigung von elektrischen Komponenten. Der VEB Lokomotivbau Elektrotechnische Werke (LEW) Hans Beimler Hennigsdorf konnte wegen bevorzugter Exportaufträge, Teile der Zugsteuerung nicht fristgemäß liefern. Die Baureihe 170 erhielt deshalb zur Auslieferung die Zugsteuerung der Baureihe 165.0-8.
ET 170 001/002 im Reichsbahnausbesserungswerk Schöneweide (undatiert).
Öffentlich wurde die Baureihe 170 erstmals im Frühjahr 1959 auf der Leipziger Messe und im Herbst auf einer Ausstellung in der Straße Unter den Linden vorgestellt. Bei der anschließenden Erprobung zeigten sich Mängel, die prinzipiell behebbar waren, jedoch verfolgte sowohl das Ministerium für Verkehrswesen als auch die Deutsche Reichsbahn bereits neue Ziele: Die Vereinheitlichung von Triebwagen für die S-Bahnen in Berlin und anderen Bezirksstädten der DDR, der Berliner U-Bahn in Berlin Ost sowohl für den Export. Mit dem Mauerbau und Boykottaufruf gegen die Benutzung der S-Bahn in Westberlin wurden zahlreiche S-Bahnfahrzeuge überzählig, womit der dringende Bedarf von Neubauzügen vorläufig gestoppt war.
Für den ersten Halbzug der Baureihe 170 bedeutete dies bereits im Mai 1963 das Ende. Das Fahrzeug wurde im Raw Schöneweide nach nur 5.242 Betriebskilometer abgestellt und diente fortan als Ersatzteilspender für den zweiten Halbzug. Der zweite Halbzug erhielt im Jahr 1962 eine neue Steuerungsanlage vom LEW Hennigsdorf, sowie eine rot-gelbe Lackierung. Technische Schwierigkeiten und Kinderkrankheiten wurden nur halbherzig behoben, so dass das Fahrzeug oft in seinem Heimat S-Bw in Erkner abgestellt war. Zum Einsatz kam der Halbzug meist in einem Sonderumlaufplan zwischen Erkner/Friedrichshagen und Ostbahnhof. Entsprechend der Umstellung auf Einmannbetrieb erhielt der Halbzug im Jahr 1966 eine Sifa und Funkanlage.
Bis in das Jahr 1969 kam der Halbzug noch zum Einsatz. Zunehmende Probleme an der Türschließanlage und dem Steuerstromumformer führten zur Abstellung des Zuges im Raw Schöneweide. Zu diesem Zeitpunkt war bereits die Entscheidung gefallen zukünftige S-Bahnzüge mit Thyristorsteuerung auszustatten. Die Baureihe 170 blieb ein Einzelgänger und wurde schließlich im Raw Schöneweide in den Jahren 1973 bis 1974 verschrottet.
170 001-002 | 170 003-004 | Bemerkung | |
Bestellung | 1956 | 1956 | |
Benennung in BR 170 | 11. März 1958 | 11. März 1958 | |
Überführung zur S-Bahn | 3. Mai 1959 | 15. Mai 1959 | |
1. Bahnamtliche Untersuchung | keine | August 1962 | Raw Sw, Schaltwerk LEW, Lack rot/gelb |
2. Bahnamtliche Untersuchung | keine | Oktober 1966 | Raw Sw, Funk und Sifa |
Abstellung | 29. Mai 1963 | Juni 1969 | Raw Sw |
Ausmusterung | 3. November 1969 | 1. Juni 1972 | Raw Sw |
Verschrottung | März - April 1973 | Dezember - Februar 1974 | Raw Sw |
gefahrene Gesamtkilometer | 5.242 | 87.112 |
Autor:
Mario Walinowski
Quellen und weiterführende Buchtipps:
Das "Blaue Wunder" - Die Baureihe ET 170.0 der Deutschen Reichsbahn; Mario Walinowski; Verlag GVE; 2005
letzte Änderung:
26. Oktober 2008
Veröffentlichung:
26. Oktober 2008