Die Zentralmarkthalle am Bahnhof Alexanderplatz


Eine der wichtigsten und die Lebensqualität der Bevölkerung direkt betreffenden Folgen, die die fertig gestellte Stadtbahn für Berlin hatte, lag ihm Bereich der Lebensmittelversorgung und der Lösung wichtiger Versorgungsprobleme der sich ausdehnenden Großstadt. In der Versorgung dieser zur Millionenstadt herangewachsenen Kommune herrschten katastrophale Zustände. Die im Hobrechtplan vorgesehenen und später auch angelegten Schmuckplätze sollten gleichzeitig auch als Marktplätze dienen. Diese unhygienischen und den immer stärker anwachsenden Verkehr behindernden Märkte wurden sehr bald zu einem großen Problem Berlins, so dass es bereits seit 1848 Anträge und Pläne aus den Reihen der Stadtverordnetenversammlung gab, die Märkte als unhygienisch aufzuheben und sie durch Markthallen zu ersetzen.

Bevor jedoch diese damals modernen Versorgungseinrichtungen gebaut wurden, waren in Berlin im Zuge des Stadtbahnbaus die Stadtbahnbögen entstanden. Von den ursprünglich 731 errichteten Viaduktbögen der Stadtbahn waren insgesamt 597 für gewerbliche Zwecke benutzbar. Ihre fortlaufende Nummerierung begann am Schlesischen Bahnhof und endete am Bahnhof Savignyplatz unmittelbar vor der Bleibtreustraße. 453 Bögen waren bei der Eröffnung der Stadtbahn 1882 zu vermieten, jedoch gelang dies im ersten Jahr nur bei 58 Bögen. Diese Zahl erhöhte sich im Laufe der Zeit beständig, so dass beispielsweise 1885 148 Bögen und 1896 bereits 392 Bögen vermietet waren. Die Nutzung der Bögen hing vor allem von der Umgebung ab. An den Bahnhöfen und Haltestellen mieteten sich besonders Restaurationsbetriebe und kleine Ladengeschäfte ein, die von der Laufkundschaft lebten. In der Nähe der Straßenüberführungen waren sehr häufig Pferdeställe untergebracht, die im Laufe der Zeit Garagen und Kraftfahrzeugbetrieben wichen. Daneben kam es zu den unterschiedlichsten Nutzungen kommunaler wie gewerblicher Art. So existierten in den Stadtbahnbögen Wärmehallen für Obdachlose, Lagerräume, Kulissenunterstände, Speditionen und gar ein Tierheim. In ihrer Länge bildete die Stadtbahn so eine im wahrsten Sinne des Wortes riesige Ladenkette und war gleichzeitig für die Bewohner der näheren Umgebung ein wichtiger Ort des Handels- und Geschäftslebens. Die unterschiedlichsten Arten an Geschäften und Dienstleistungen, welche in den Bögen untergebracht waren, steigerten so das Versorgungsangebot der Einwohner in besonderem Maße. Manche dieser Geschäfte existieren teilweise bis in unsere Zeit.

Bild: Zentralmarkthalle Alexanderplatz 1

Die Außenansicht des Erweiterungsbaues der Zentralmarkthalle am Alexanderplatz:
Die Straße links (mit Pferdefuhrwerk) ist die Neue Friedrichstraße, rechts die Kaiser-Wilhelm-Straße.
Im Hintergrund rechts die Stadtbahn. Die alte Markthalle befindet sich (im Bild nicht sichtbar) rechts neben dem Bürgersteig.
Repro aus: Die Markthallen Berlins; 1899

Eine zweite wichtige Bedeutung für die Versorgung Berlins erhielt die Stadtbahn mit dem Bau der Großmarkthalle am Alexanderplatz. Wie im oberen Teil des Kapitels bereits erwähnt, hatte es seit 1848 immer wieder Überlegungen und Forderungen gegeben, die offenen Markstände auf den Marktplätzen Berlins zu verbieten und in Markthallen zentral unterzubringen. In anderen europäischen Großstädten waren Markthallen schon länger eine Selbstverständlichkeit, als in den 1860er Jahren in Berlin mit den Planungen begonnen wurde. Im September 1867 eröffnete die nach zweijähriger Bauzeit errichtete Markthalle am Schiffbauerdamm. Da diese Halle jedoch nicht zentral genug lag und damit eine Rentabilität nicht gewährleistet schien, schloss diese bereits wieder im Mai 1868.

1872 kam es zu Verhandlungen zwischen der Stadt und der Deutschen Baugesellschaft um die Errichtung von 13 Markthallen. Einerseits wollte die Stadt so das finanzielle Risiko von der Privatwirtschaft tragen lassen, andererseits forderte das Polizeipräsidium die Beteiligung der städtischen Behörden, um ein Monopol in der städtischen Lebensmittelversorgung auszuschließen. Da es auf Grund von finanziellen Unsicherheiten zu keiner Einigung und zu keinem Vertrag kam, beriet ab Anfang 1875 eine vom Magistrat von Berlin eingesetzte Kommission, die Vorschläge für die Lösung der Versorgungsfragen unter besonderer Berücksichtigung der Hygiene, der Bekämpfung von Seuchen etc. ausarbeiten sollte. Im Laufe des Jahres 1880 war klar, dass dies am ehesten in Form von Markthallen mit direktem Stadtbahnanschluss zu bewerkstelligen sei. Dabei standen von Anfang an mehrere Standorte zur Auswahl, so zum Beispiel westlich des Bahnhofes Jannowitzbrücke oder auf dem Gelände des späteren Polizeipräsidiums am Alexanderplatz, wobei bei allen Standorten die Mitbenutzung einiger Stadtbahnbögen mit vorgesehen war. Da jedoch aus verkehrstechnischer Sicht ein Anschluss aller zu bauenden Markthallen an die Stadtbahn nicht möglich war, entschied man schließlich zwar, die Wochenmärkte durch Markthallen zu ersetzen, aber nicht alle an die Stadtbahn anzuschließen. Es kam ein groß angelegtes Markthallenprogramm in Vorschlag, dessen Mittelpunkt eine Zentralmarkthalle sein sollte, wobei aus verkehrstechnischen und Platzgründen nur der Standort westlich des Bahnhofes Alexanderplatz und der Kaiser-Wilhelm-Straße in Betracht kam.

Bild: Zentralmarkthalle Alexanderplatz 2

Querschnitt durch die Erweiterungsbau von 1893.
Repro aus: Die Markthallen Berlins; 1899

Im Juli 1883 begann der Bau der Zentralmarkthalle unter Leitung des Stadtbaurates Hermann Blanckenstein. In dreijähriger Bauzeit entstand auf dem Block zwischen Neuer Friedrichstraße, Kaiser-Wilhelm-Straße und Stadtbahn eine große quadratische Eisen-Fachwerkhalle mit einer Grundfläche von 11.600 qm, wovon 2107 qm auf Stadtbahngebiet und 1725 qm in sieben Stadtbahnbögen lagen. Am 3. Mai 1886 wurde die Zentralmarkthalle zusammen mit vier weiteren nicht ans Eisenbahnnetz angeschlossenen Markthallen eröffnet. Der Gleisanschluss der Halle erforderte eine Verbreiterung der Brücke über die Kaiser-Wilhelm-Straße und die Rochstraße um vier Gleise, so dass das Viadukt um fast 10 m verbreitert werden musste. Die Entladegleise lagen auf separat errichteten weiteren Viadukten, die parallel neben der Stadtbahn lagen. Dazwischen wurden Entladebühnen eingebaut und bis zu sechs hydraulische Fahrstühle verbanden die einzelnen Etagen miteinander.

Da der Verkehr auf der Stadtbahn jedoch in der Zwischenzeit erheblich zugenommen hatte, kam es zu immer größeren Problemen, die Güterzüge dem Bedarf entsprechend zwischen dem Schlesischen Bahnhof und der Zentralmarkthalle verkehren zu lassen. Die viergleisige Anlage der Stadtbahn hatte bereits 1886 eine so hohe Verkehrsfrequenz, dass eine adäquate Güterverkehrsanbindung der Markthalle nur äußerst kompliziert ausgeführt werden konnte. Bereits im April 1886 gab es von Seiten der Königlichen Eisenbahndirektion erste "Bestimmungen über die Abfertigung der Berliner Markthallen-Güter auf der Eisenbahn". Dabei wurde bestimmt, welche Züge nur in verkehrsschwachen Zeiten zum Alexanderplatz gelangen konnten. Sammelpunkt aller Waren war der Schlesische Bahnhof, wo ein spezieller "Markthallenzug" in der Mittagszeit diese Waren in die Markthalle brachte. Es zeigte sich jedoch sehr schnell, dass nur ein einzelner Zug nicht ausreichte, um die Markthalle vernünftig mit den entsprechenden Waren zu beliefern, so dass ab 1887 insgesamt drei Markthallenzüge eingesetzt wurden, die verkehrstechnisch kompliziert über den Tag verteilt den Alexanderplatz ansteuerten. Erst mit dieser Änderung erreichten die Markthalle und der Güterverkehr zu ihr die für eine reibungslose Anlieferung der Waren notwendige Leistungsfähigkeit. Diese Leistungsfähigkeit wird beim Betrachten der umgeschlagenen Güter deutlich:


Jahr Empfang Versand Zusammen
1886/87 4.070 t 54 t 4.124 t
1887/88 11.974 t 2.229 t 14.200 t
1889/90 29.330 t 4.252 t 33.582 t
1890/91 33.717 t 4.906 t 38.623 t
1892/93 38.025 t 5.821 t 43.846 t

Bild: Zentralmarkthalle Alexanderplatz 3

Die Markthalle I - sie wurde später durch einen Tunnel mit dem Erweiterungsbau verbunden.
Repro aus: Die Markthallen Berlins; 1899

Aufgrund des großen Erfolges der Zentralmarkthalle wurde bereits nach einigen Jahren der Verkaufsraum in der Halle knapp. Die Markthalle war eine Einzelmarkthalle, in der demzufolge die Händler die Waren direkt an ihre Kunden verkauften. Für den Großhandel, der hier ebenfalls seine Waren an die Einzelhändler und die Handelsgeschäfte verkaufte, wurde, ebenfalls nach Plänen Hermann Blanckensteins, von Herbst 1891 bis Juli 1893 die Großmarkthalle II mit 9200 qm Verkaufsfläche gebaut, um die Kapazitäten den Erfordernissen anzupassen. Diese zweite Markthalle lag westlich der ersten Halle zwischen Kaiser-Wilhelm-Straße und Rochstraße und war durch Tunnelanlagen mit der alten Halle verbunden. Die betriebliche Teilung in Groß- und Einzelhandel ermöglichte eine wesentlich effizientere Warenverteilung, da die Hauptkundenströme nun in der südlichen Halle gebündelt werden konnten. Erst mit dieser zweiten Markthalle war das "Zentralmarkthallen-Ensemble" am Alexanderplatz komplett.

Das führte dann auch sofort zu einem weiteren Ansteigen der umgesetzten Güter:


Jahr Empfang Versand Zusammen
1893/94 52.621 t 4.233 t 56.854 t
1894/95 54.880 t 2.936 t 57.816 t

Die in der Markthalle eintreffenden Güter kamen aus dem gesamten europäischen Ausland nach Berlin. In einer zeitgenössischen Quelle wird dies sehr anschaulich beschrieben:

Nahe und entfernte Gebiete liefern ihre Erzeugnisse ständig an die Zentralmarkthalle: Italien sendet Südfrüchte, Obst, Gemüse und Kartoffeln, die Türkei Weintrauben, Bosnien Zwiebeln, Böhmen Obst und Gurken; von den Eingangsorten für österreichisches Schlachtvieh, Kattowitz, Beuthen, Myslowitz trifft frisches Fleisch ein, aus Bayern Obst und Gemüse, aus Holland Blumen- und Rothkohl, aus Dänemark frisches Fleisch und Weisskohl, aus Schweden frische Heringe. Während der Zeit der Obstreife kommen aus der märkischen Obstkammer, dem nahegelegenen Werder, staunenswerthe Mengen von Obst mit direkten Sonderzügen nach der Zentralmarkthalle. Lebens- und Genussmittel, die früher nur in kleinen Kistchen nach Berlin gelangten, wie zum Beispiel echte Kastanien aus Italien, treffen jetzt in ganzen Wagenladungen ein. Von dem Gesammtverkehr entfallen auf Obst und Südfrüchte ungefähr 40 %, Fleisch 11 %, Gemüse 9 %, Kartoffeln 5 %.

Bild: Zentralmarkthalle Alexanderplatz 4

Blick in den Erweiterungsbau von 1893.
Im Hintergrund sind einzelne Güterwagen des Stadtbahnanschlusses erkennbar.
Repro aus: Die Markthallen Berlins; 1899

Und auch zur Bedeutung der Markthalle erfährt man in der gleichen Quelle interessante Details:

Die Zentralmarkthalle ist seitdem thatsächlich ein Emporium für die hauptstädtische Lebensmittelversorgung und ein im Berliner Lebensmittelverkehr massgebender und unentbehrlicher Faktor geworden. Ein bedeutender Grosshandel hat sich entwickelt; (…); Restaurateure, Höker, mit einem Wort der gesammte Kleinhandel Berlins, versorgen sich hier. Daneben besteht ein überaus reger Kleinverkehr; auch aus entfernteren Stadtgegenden wird gerne die Zentralmarkthalle aufgesucht, die als die billigste und reichhaltigste Bezugsquelle gilt.

Da darüber hinaus nicht nur der Einzelhandel, sondern auch alle 14 neu eröffneten Markthallen in den anderen Stadtteilen über die Zentralmarkthalle mit Gütern und Lebensmitteln versorgt wurden, kann mit gutem Grund gesagt werden, dass durch diese Einrichtung die Lebensmittelversorgung der Millionenstadt Berlin quantitativ und qualitativ auf eine ganz neue Ebene gestellt worden war. Die Eisenbahn, in diesem Fall die Berliner Stadtbahn, veränderte also grundlegend die Möglichkeiten der Versorgung Berlins, dadurch wurde diese modernisiert und erleichtert und unterstützte so die Bevölkerung direkt in ihrem Alltag. Hinzu traten noch die gewerblich genutzten Stadtbahnbögen, welche entlang des Stadtbahnviadukts die Anwohner mit ihren Einzelhandelsgeschäften erreichten. Keine der anderen großen Weltstädte besaß eine Einrichtung, die in so vollkommener Weise die Eisenbahn direkt in die tägliche Ernährung und Versorgung einer Millionenbevölkerung mit Waren aller Art mit einbezog. Die Stadtbahn hatte in dieser Bedeutung vielleicht den direktesten und wichtigsten Einfluss auf Berlin und seine Bewohner.


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Autor:
Falko Krause

Der vorliegende Text ist Teil der Magisterarbeit des Autors.
Die im Text verwendeten Bilder gehören nicht zur Magisterarbeit!

Bearbeitung für die Webseite:
Mike Straschewski

Weiterführende Links:
Die ehemalige Gleisanlage bei Google Maps

letzte Änderung:
3. November 2008

Veröffentlichung:
3. November 2008

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