Die Friedhofsbahn

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Nach einigen Testfahrten erfolgte am 2. Juni 1913 die feierliche Eröffnungsfahrt vom Potsdamer Fernbahnhof mit geladenen Gästen. Die Ankunft in Stahnsdorf erfolgte fahrplanmäßig um 9.35 Uhr. Nach einer Ansprache des geschäftsführenden Ausschusses der Berliner Stadtsynode und nach der Besichtigung des Kirchhofes und der Bahnanlagen erfolgte die Rückfahrt für die Gäste um 12.08 Uhr. Ab dem 3. Juni 1913 wurde die Stichbahn in das öffentliche Verkehrsnetz integriert, so daß nun jeder Reisende diese Strecke nutzen konnte. Damit kam der Südwestfriedhof in den Genuss des günstigen Vororttarifes, was dem Ostkirchhof in Ahrensfelde verwehrt geblieben ist.

In Halensee wurde der Sammelplatz für Leichen durch ein im norwegischen Stil errichtetes Leichengebäude abgelöst. Diese Halle war notwendig, um die Verstorbenen ehrwürdig zu behandeln, sowie auch um hygienische Aspekte zu beachten. Die Leichenhalle verfügte über Kühlräume, auch war das Leichengebäude nicht als solches von außen zu erkennen, so dass lediglich das Einfahren von Leichenwagen von den anliegenden Anwohnern beobachtet werden konnte. Mittels eines Lastenaufzuges konnten die Särge bis an ein Gleis gefahren und anschließend in einen gedeckten Güterwagen geladen werden. Nun erfolgte der Transport der Särge über Wannsee bis nach Stahnsdorf zum Südwest-Kirchhof, wo die Verstorbenen auf einem gesonderten Gleis abgeladen und zur Friedhofskapelle über eine Seitenstraße transportiert wurden. Der Transport der Verstorbenen erfolgte meist frühmorgens, um am selbigen Tag die Beerdigung abhalten zu können. Aufgrund der Besonderheit dieser Bahnlinie bekam sie den Spitznamen "Friedhofsbahn".

Bild: Empfangsgebäude in Stahnsdorf 1913

Empfangsgebäude in Stahnsdorf.
Repro: Zentralblatt der Bauverwaltung; Nr. 84 vom 21. Oktober 1914.

Die jüdische Gemeinde wollte dem Beispiel der evangelischen Kirchengemeinde folgen. In den Zeiten des Ersten Weltkrieges plante diese in Dreilinden einen Großfriedhof anzulegen. Damit hätten ebenfalls Verstorbene nicht nur nach Stahnsdorf, sondern auch nach Dreilinden überführt werden sollen. Der Bahnhof und die Gleisanlagen in Dreilinden sollten dementsprechend umfangreich erweitert werden. Die Pläne für diesen jüdischen Friedhof waren bereits so akribisch ausgearbeitet, dass nur noch mit den Bauarbeiten begonnen werden musste. Doch der erwähnte Erste Weltkrieg verhinderte dieses Vorhaben.

Kurze Zeit nach der Eröffnung sollte die Trasse der Friedhofsbahn elektrisiert werden, doch der folgende Erste Weltkrieg verhinderte diese Maßnahme. Nachdem im Jahr 1924 die Stettiner Bahn ab dem Stettiner Vorortbahnhof nach Bernau elektrisiert wurde, bekam neben der Stadtbahn auch die Friedhofsbahn die seitlich angebrachten Stromschienen. Ab dem 10. Juli 1928 war auch hier das bekannte Brummen der Berliner S-Bahnzüge zu hören. Eine Besonderheit hatte allerdings diese Elektrisierung der Friedhofsbahn: Statt den Fahrstrom wie üblich über das Fahrgleis zurückzuführen, wurde auf der gegenüberliegenden Gleisseite eine Rückleiterschiene angebracht.

Bild: einfahrender Zug Stahnsdorf

Vorbei am Ausfahrsignal B fährt von Wannsee kommend ein einzelner Viertelzug in Stahnsdorf ein.
Die Aufnahme wird auf Anfang der 1930er Jahre geschätzt, der zu sehende Zug würde somit in der Zuggruppe M fahren.

Bei den Umgestaltungsplänen unter den Nationalsozialisten, die ab 1937 veröffentlicht wurden, spielte die Friedhofsbahn eine sehr wichtige Rolle. Für die Ansprüche der neuen Machthaber sollte das gesamte Stadtzentrum völlig neu bebaut und zwei große Straßenachsen errichtet werden. Für diese Bebauungspläne waren ca. 40 Berliner Friedhöfe den Planern im Weg. Die Schöneberger Friedhöfe Alter und Neuer St. Matthäus sowie der XII Apostel Friedhof wurden Ende der 1930er Jahre bereits teilweise entwidmet, Grabanlagen wurden vermessen, anschließend abgebaut und via Güterzug auf der Friedhofsbahn nach Stahnsdorf transportiert. In Stahnsdorf wurden die Mausoleen und Wandgräber auf einer Länge von 1,5 Kilometern wieder aufgebaut. Insgesamt bettete man 15.000 Verstorbene nach Stahnsdorf um. Für dieses Vorhaben wurde eigens eine neue Behörde eingerichtet und die Kosten der Umbettungen nach Stahnsdorf trugen je nach Bauvorhaben die Stadt Berlin oder die Reichsbahn. Aufgrund des begonnenen Zweiten Weltkrieges stellte man die Umbettungsaktionen Stück für Stück ein. Die Spuren der Beräumung auf den Friedhöfen in Berlin-Schöneberg sind auch heute noch zu erahnen.

In dem Planungsstand von 1941 wurden die Pläne aus den Anfangsjahren der Friedhofsbahn wieder aufgegriffen, man sah eine Anbindung von Stahnsdorf über Teltow bis nach Lichterfelde auf die Anhalter Bahn vor. Der S-Bahnhof Lichterfelde Süd erhielt zu diesem Zeitpunkt zwei Mittelbahnsteige. Von hier aus sollten S-Bahnzüge nach Teltow, Stahnsdorf, Berlin-Wannsee sowie über Großbeeren bis nach Trebbin, wo ein großes S-Bahnbetriebswerk geplant war, fahren. Die Friedhofsbahn selbst sollte ab Berlin-Wannsee bis nach Stahnsdorf viergleisig ausgebaut werden und anschließend in einer langgezogenen Linkskurve über die neuen Bahnhöfe Stahnsdorf Süd, Machnow Süd, Teltow Stadt nach Seehof führen mit anschließender Einfädelung auf die Anhalter Bahn. Für dieses Bauvorhaben sind bis 1942 Bauarbeiten begonnen worden, und bis heute lässt sich die geplante Trasse mit deren neuen Bahnhöfen erkennen. Geplant war die Fertigstellung für das Jahr 1948, der S-Bahnverkehr sollte in den verkehrsstarken Zeiten alle zehn Minuten, außerhalb alle zwanzig Minuten durchgeführt werden.

Am 22. April 1945 erreichte die Rote Armee Stahnsdorf. Ende April 1945 wurde der gesamte Nahverkehr in Berlin kriegsbedingt eingestellt, ebenso auch auf der Friedhofsbahn samt dem Personen- und dem Leichentransport.In den letzten Kriegstagen sprengten deutschen Truppen die Totenbrücke über dem Teltowkanal; bis heute sind noch Spuren von Kampfhandlungen am südlichen Brückenwiderlager erkennbar. Ab September 1945 wurde der S-Bahnverkehr auf der Friedhofsbahn nur spärlich wieder aufgenommen, allerdings gab es keinen durchgehenden Verkehr bis nach Stahnsdorf. Wegen der zerstörten Totenbrücke wurde der S-Bahnhof Dreilinden zum vorläufigen Endbahnhof der Friedhofsbahn. Ab November 1945 begannen die ersten Wiederaufbaumaßnahmen der Brücke. Da der Südwest-Kirchhof in Stahnsdorf verkehrlich, bis auf neu eingerichtete Buslinien, abgeschottet war, richtete die Reichsbahn neben der gesprengten Totenbrücke eine Behelfsbrücke ein. So war es möglich, ab dem S-Bahnhof Dreilinden zu Fuß über das Gleis der Friedhofsbahn bis nach Stahnsdorf zu laufen.

Die Rote Armee bezog in Stahnsdorf die Kasernenanlagen, die die Wehrmacht 1935 errichtet hatte. Da die russischen Soldaten uneingeschränkten Zugang zum Südwestfriedhof hatten, kam es teilweise auch zu Raubüberfällen auf die Friedhofsbesucher. Die Tageszeitungen berichteten von einigen Vorfällen, so dass viele Besucher aus Angst den Südwest-Kirchhof mieden und die Besucherzahlen rapide sanken. Auch der jetzt fehlende Bahnanschluß begünstigte diesen Rückgang.

Das Leichengebäude in Halensee an der Paulsborner Straße wurde durch Bombentreffer so stark zerstört, dass es nicht wieder hergerichtet werden konnte. Bis zum August 1946 wurde eine Leichensammelstelle südlich des Bahnhofes Charlottenburg in der Markgraf-Albrecht Straße 12 eingerichtet, von hier aus brachte man die Verstorbenen mit Lastkraftwagen nach Stahnsdorf. Zum 29. August 1946 wurde am Güterbahnhof Steglitz ein neuer Leichensammelplatz eingerichtet, und bis zur Wiederherstellung der Totenbrücke erfolgte der Transport der Verstorbenen mit Güterzügen bis zum Bahnhof Drewitz, dem heutigen Bahnhof Medienstadt Babelsberg. Von dort ging es mit Fuhrwerken weiter bis nach Stahnsdorf. Auch diese Art des Transportes stellte keine ehrwürdige Beförderung von Verstorbenen dar; es war wieder so wie einst vor der Eröffnung der Friedhofsbahn.

Bild: Grenzbarriere im Jahr 1962

Unmittelbar an der Südseite der Brücke des Königsweges befand sich die ehemalige innerdeutsche Grenze, die an jenem Sommertag einen provisorischen Eindruck macht. Im Hintergrund die stillgelegte Autobahnbrücke mit einem Wachturm. (26. August 1962)

Vertraglich war es geregelt, dass die Staatseisenbahn für Instandhaltungskosten auf der Friedhofsbahn allein aufzukommen hatte, dennoch beteiligte sich die Stadtsynode mit an den Wiederaufbaukosten der gesprengten Teltowkanalbrücke. Am 27. Mai 1948 erfolgte ein Belastungstest mit zwei Lokomotiven des Typs G56.12 samt Kohletender auf der wiederhergerichteten Brücke. Nachdem dieser Test erfolgreich war, fuhr um 12.43 Uhr ab dem S-Bahnhof Dreilinden der erste Zug wieder nach Stahnsdorf. Nicht nur der Fahrgastverkehr auf der Friedhofsbahn wurde somit wieder aufgenommen, sondern auch der Transport der Verstorbenen erfolgte wieder auf dem Schienenwege.

Im Jahr 1949 wurden die BRD und die DDR gegründet. Der Stahnsdorfer Friedhof lag auf Brandenburger Gebiet - und damit auf dem Gebiet der DDR und Berlin-Wannsee in Westberlin. Ab dem 28. Mai 1952 war es Westberlinern verboten worden, ohne gültige Passierscheine in die DDR einzureisen. Aufgrund dieser Umstände wurde der S-Bahnhof Dreilinden zu einem Grenzkontrollbahnhof. Hier wurden in einem mehrminütigen Kontrollhalt die Gültigkeit der Passierscheine sowie der Reisedokumente kontrolliert. Auch der Schmuggel von Waren zwischen Ost und West sollte damit unterbunden werden. Unter diese Kontrollen fielen auch die "Leichenzüge" in Stahnsdorf.


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