Seit über zehn Jahren fährt der Vollring wieder


Streckenbeschreibung der Ringbahn


Sonnabend, 15. Juni 2002: Die S-Bahn und die Berliner und Brandenburger Fahrgäste sind in Feierlaune. Nach über 41 Jahren konnte die S-Bahn den Vollring in seiner gesamten Länge von 37 Kilometern wieder komplett befahren. Mit dem Mauerbau am 13. August 1961 wurde die Strecke an zwei Stellen unterbrochen, es verblieben knappe 32 Kilometer in zwei unterschiedlich großen Betriebsnetzen. Es wurden damals stillgelegt:

In Gesundbrunnen wurden beide Ringbahngleise zusätzlich, aber nur in Notfällen, zur zweigleisigen Kehranlage als Abstellgleise genutzt. In Sonnenallee verwendete man das ehemalige Ringbahngleis Treptower Park—Sonnenallee auf ca. 400 Meter Länge als Abstellgleis. Während der in Ostberlin liegende ca. acht Kilometer lange Ostring alle Verkehrsströme zwischen Nord und Süd auf- und somit die Aufgabe des Nordsüd-S-Bahntunnels übernahm, wurde der in Westberlin verbliebene Dreiviertelring seiner eigentlichen verkehrlichen Bedeutung nicht mehr gerecht, der dem Mauerbau folgende S-Bahnboykott trug ebenfalls dazu bei.

Bild: Winter 78/79 in Kehre Gesundbrunnen

Blick aus der Ringbahn-Kehranlage am S-Bahnhof Gesundbrunnen in Richtung Osten. Die beiden Gleise links und rechts führten vor dem Mauerbau von und nach Schönhauser Allee.
Die Aufnahme entstand am 13. Februar 1979 im damaligen Jahrhundertwinter.

Im September 1980 kam es in Westberlin zum großen Eisenbahnerstreik, dessen Folgen für den S-Bahnverkehr immens waren. Dieser wurde seitens der Reichsbahn so stark reduziert, dass nur noch der zur Wahrung des Betriebsrechtes auf Westberliner Gebiet erforderliche Verkehr durchgeführt wurde. Komplett eingestellt wurde dabei u.a. auch der gesamte Westberliner Ringbahnverkehr. Die Stationen der Ringbahn verfielen zusehends. Eine Hoffnung auf Besserung keimte mit der am 9. Januar 1984 durchgeführten Übertragung der Betriebsrechte an die BVG auf. Doch erst am 25. September 1989 wurde auf dem S-Bahnhof Westend mediengerecht der erste Spatenstich zelebriert. Am 17. Dezember 1993 schließlich eröffnete der erste Teilabschnitt der Ringbahn - der Südring - von Baumschulenweg über Neukölln, Schöneberg, Westkreuz nach Westend. Es folgten in weiteren Etappen:

Bild: Eröffnungszug in der Zuführung

Kurz vor 13 Uhr passiert ein Halbzug des späteren Eröffnungszuges als Leerfahrt LS 41901 von Grünau kommend den alten Ringbahnsteig F von Ostkreuz (15. Juni 2002).

Und nun schließlich am 15. Juni 2002 der 3,5 Kilometer lange Abschnitt zwischen Westhafen und Gesundbrunnen. Das feierte die S-Bahn Berlin GmbH mit einem marketingtechnisch genannten "Wedding-Day" – nicht nur in Anspielung auf die letzte noch in Betrieb zu nehmende S-Bahnstation Wedding. Am S-Bahnhof Westhafen wurde der Ringschluß mit Reden, Musik und dem üblichen Drumherum entsprechend gewürdigt. Auch die Politprominenz zeigte sich zugegen und gab die eine und andere Aussage zum Besten:

Kurt Bodewig, damals Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, sprach von "neuem Fahrzeugmaterial", welches der Bund mitfinanziert hatte und verwies dabei auf einen unsanierten Zug [1] der BR 485, der zum Festakt auf Gleis 1 bereitstand. Wenigstens wies er nicht in die andere Richtung, dort stand der Museumszug des Historischen Vereins. Weiterhin sprach er davon, daß auch er den Ring als Fahrgast nutzen würde - um dann später nach dem offiziellen Teil am S-Bahnhof Schöneberg mit seiner Dienstlimousine zu entschwinden.

Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister bewies in seiner Rede fast schon Weitblick auf kommende Ereignisse:

Und vor allen Dingen merken wir es, wenn mal die S-Bahn nicht fährt, dann merken wir erstmal, welche Leistungen sie erbringt, wenn sie mal fährt, sie mal pünktlich fährt, dann merkst ja keiner. Aber wehe es ist mal Schienenersatzverkehr, dann merkt man auch, welche Kapazitäten dadurch verlorengehen.

Hartmut Mehdorn, damals Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Bahn AG, antwortete auf die Frage eines SFB-Reporters bezüglich der Länge des Bahnsteigdaches des S-Bahnhofes Westhafen, die sich auf die kurz vorher veröffentlichte Entscheidung der Einkürzung des Daches am damals zukünftigen Berliner Hauptbahnhofs bezog, wie folgt:

der (Bahnhof Westhafen d.A.) kriegt auch noch ein längeres Dach.

Wir können berichten, nichts hat sich seitdem in Westhafen getan. Na gut, das stimmt nicht ganz: immerhin ein (!) Wartehäuschen gewährt seit einiger Zeit im bahnsteiglosen Teil den Fahrgästen Unterschlupf bei Regen und Wind.

Nach den Reden fand schließlich der symbolische Lückenschluß statt: von Wedding her näherte sich im Gegengleis der "re-designte" 485 066 und 070 und kuppelte gegen 14:21 Uhr mit dem auf Gleis 1 stehenden Halbzug, bestehend aus 485 018 und 141. Nach den obligatorischen Posieren mit roter Aufsichtsmütze und der Abfahrkelle für die Medienleute setzte sich der Zug mit seinen geladenen Gästen pünktlich um 14:33 Uhr in Bewegung, um zwei Minuten später auf dem S-Bahnhof Wedding einzutreffen und vom damaligen Bezirksbürgermeister Joachim Zeller begrüßt zu werden. Nach weiteren Reden und viele Bilder später setzte sich der Premierenzug mit knapp vier Minuten Verspätung um 14:47 Uhr in Bewegung, um ohne Halt zum S-Bahnhof Schöneberg durchzufahren und dort seine geladenen Gäste für einen Festempfang zu entlassen.

Bild: Brücke über Westhafen

Eine Stunde vor dem Lückenschluß füllt sich die Putlitzbrücke, die vormals der Station ihren Namen gab, mit Zaungästen.
Kurz vor dem festlichen Beginn wird noch ein Regenschauer den Himmel eintrüben (15. Juni 2002).

Zehn Minuten nach der Abfahrt des Premierenzuges begann der planmäßige Zugverkehr auf der Ringbahn - an diesem Tage sogar im Vollringbetrieb. Der erste Zug ab Westhafen in Richtung Wedding wurde vom Autor dieser Zeilen gefahren, im Umlauf S41-1 mit 485 151 an der Spitze. Da sich die Abfahrt des Premierenzuges in Wedding kurzzeitig verzögerte, erhielt der Zug S41-1 in Jungfernheide kein entsprechendes Schild an seiner Front, da er entgegen der Fahrplananordnung nun schon in Westhafen enden sollte. Während der Fahrt zwischen Jungfernheide und Westhafen entschied man sich dann doch noch anders und so konnte die Fahrt wie vorgeplant durchgeführt werden, nur eben ohne Schild.
Der Museumszug des Vereines Historische S-Bahn verkehrte von 14:33 Uhr bis 19:00 Uhr auf der Ringbahn im Umlauf S42/16. Wenn Sie in den Tagen vor der offiziellen Eröffnung S-Bahnzüge zwischen Westhafen und Gesundbrunnen gesehen haben, dann waren das technische Abnahmefahrten bzw. Zugfahrten zum Erwerb der nötigen Streckenkenntnis für die Lokführer.

An diesem Festtag führte die S-Bahn offiziell die Linienbezeichnungen S41 (verkehrt im Ring im Uhrzeigersinn) bzw. S42 (entgegen des Uhrzeigersinns) ein. Wie schon geschrieben verkehrten die Züge im Vollringbetrieb, ab dem nächsten Tag (16. Juni 2002) fuhren die Ringbahnzüge nur noch ein sogenanntes Schneckenkonzept:

Für dieses Konzept benötigte man 33 Vollzüge; ein Zug hatte eine Umlaufzeit von 11 Stunden.

Bild: Essenfassen in Schöneberg

Aussteigen zum Essenfassen: Nachdem der Eröffnungszug von Wedding kommend ohne Halt bis zum Bahnhof Schöneberg (Ringbahn) als S 41000 gefahren ist, entlässt er dort seine geladenen Gäste. Unter der Zugnummer S41002 geht es zwei Minuten später als normaler Zug weiter, nun ist das neue Schmuckstück der S-Bahn für alle zugänglich (15. Juni 2002).

An diesem 16. Juni 2002 wurde der Nordsüd-S-Bahntunnel zwischen Nordbahnhof und den beiden S-Bahnhöfen Yorckstraße zum Zwecke der Sanierung für die nächsten Monate geschlossen. Zudem erfolgte vom 16. bis 21. Juni die Umschwenkung der Fernbahngleise am Lehrter Stadtbahnhof, danach vom 22. Juni bis 29. Juni 2002 die Umschwenkung der dortigen S-Bahngleise. Die Ringbahn sorgte so mit ihrer Eröffnung für eine gute Umfahrung der beiden beschriebenen Baustellen.

Durchgehenden Vollringbetrieb auf der Ringbahn gibt es seit dem 28. Mai 2006.

Eine interessante Filmdokumentation zur Geschichte der Ringbahn ist der Film Wieder mit Ringbahn - Eine Ost-West-Geschichte von Dieter Bohrer, den wir an dieser Stelle sehr gerne empfehlen.

[1] Der bereitstehende Zug der BR 485 hatte zumindest das sogenannte Leistungspaket 1, das technische Verbesserungen für das Fahrzeug beinhaltete. Bodewig meinte aber die Züge der BR 481.


Streckenbeschreibung der Ringbahn


Autor:
Mike Straschewski

Quellen:
SFB1 spezial: Ring frei; Live-Sendung des Fernsehsenders SFB1 am 15. Juni 2002
S-Bahn-Mitarbeiter-Info "Inbetriebnahme Ring & Sperrung Nordsüd-S-Bahn"
Der Ringschluß der S-Bahn verbindet Berlin; Jürgen Meyer-Kronthaler; Berliner Verkehrsblätter; Heft 8/2002
33 Züge für elf Stunden Umlaufzeit; Manuel Jacob; Berliner Verkehrsblätter; Heft 8/2002
Fahrplananordnung 902 vom 21.Mai 2002, gültig vom 11. bis 14. Juni 2002
Fahrplananordnung 903 vom 31.Mai 2002, gültig ab 15. Juni 2002

letzte Änderung:
8. Oktober 2012

Veröffentlichung:
15. Juni 2012

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