Die Zuggruppen

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Mitte der achtziger Jahre: Ein Junge fährt - wie so oft - mit der S-Bahn auf dem Ostring. Er fragt sich, wie der Betrieb der S-Bahn organisiert ist, ob es ein Liniensystem wie in Westen gibt. Er ahnt nicht, dass sich die Antwort auf seine Fragen im Stirnfenster des Zuges findet, in dem er gerade sitzt. Ein paar Jahre später blättert er in einem Westberliner Buchladen in einem Buch über die Berliner S-Bahn.
Im Jahr 2004: Ein Mann steht auf dem S-Bahnhof Lichtenberg und wartet auf seine Bekannte. Nicht weit von ihm ist die Aufsicht und er kann mithören, wie diese die Züge abfertigt. Er wundert sich, warum sie die Zugfahrer mit so eigenartigen Namen wie "Elster", "Theodor" oder "Olive" anspricht und beschließt, dem am nächsten Tag im WWW auf den Grund zu gehen.
Beide werden sie schnell auf ein Wort stoßen: Zuggruppen.

Was sind Zuggruppen?

Eine Zuggruppe ist eine Anzahl von Zügen, welche in einer bestimmten Einsatzzeit eine bestimmte Bahnstrecke nach einem festen (üblicherweise getakteten) Fahrplan befährt. Ein einzelner Zug innerhalb einer solchen Gruppe wird als Umlauf bezeichnet. Jeder Umlauf trägt eine eindeutige Nummer.
Die Zuggruppen ähneln S-Bahnlinien insoweit, als dass sie stets die gleiche Strecke befahren. Während jedoch bei der Berliner S-Bahn die 1991 eingeführten Liniennummern primär der Fahrgastinformation dienen (und nicht in jedem Fall den tatsächlichen Betriebsabläufen entsprechen), sind die Zuggruppen rein bahninterne Organisationseinheiten, mit denen der Betrieb der einzelnen "Linien" abgewickelt wird.

Bild: Zuggruppenbild 1

Bezeichnungen und Funknamen

Jede Zuggruppe hat üblicherweise einen eigenen Bezeichner. In heutiger Zeit ist dies entweder ein Buchstabe (A, B, C,...) oder ein Buchstabe ergänzt um einen römischen Index (A I, A II, B I,...). Bis 1980 gab es daneben auch Zuggruppen, die als Bezeichner eine Ziffer (1, 2, 3,...) oder eine Ziffer mit einem Kleinbuchstaben als Index (1a, 2a, 3a,...) hatten. In noch fernerer Vergangenheit existierten weiterhin Zuggruppen, die nach dem Kürzel ihres Endbahnhofs benannt waren (Ws für Wannsee, Lio für Lichterfelde Ost) und auch solche, die ohne eigenen Namen auskommen mussten.

Neben dem eigentlichen Bezeichner gibt es seit Einführung des Einmannbetriebs (1965-69) zusätzlich für jede Zuggruppe einen Funknamen (eine Ausnahme bildete hier lange Zeit die Westberliner Zuggruppe 5, die zwischen Zehlendorf und Düppel pendelte und die angesichts ihrer relativen Bedeutungslosigkeit bis zu ihrer Einstellung im Jahr 1980 weiterhin im Zweimannbetrieb geführt worden war), anhand dessen die Abfertigung durch die Bahnhofsaufsicht erfolgt. Die Funknamen beginnen in der Regel mit dem Kennbuchstaben der Zuggruppe, sofern es dabei nicht zu Verwechslungen kommen kann (die Zuggruppen der Linie S1 tragen bereits den dritten Namen) und der gewünschte Name auch von den zuständigen Aufsichtsbehörden freigegeben ist. (So lief bspw. die Zuggruppe "Theodor" ["T"] anfangs als "Viktor" und die Zuggruppe "Reiher" ["R I"] zunächst als "Siegfried").

Zuggruppenkopplungen

Seit den sechziger Jahren nutzt man die Möglichkeit, verschiedene Zuggruppen zu größeren Einheiten zusammenzufassen (zu koppeln). Die Notwendigkeit dazu ergab sich im Ostberlin der Mauerjahre, als auf der östlichen Stadtbahn mehrere Endbahnhöfe mit äußerst engen Fahrplänen bestanden. In dieser Situation war es gelegentlich günstiger, einen Zug, der seinen Endhalt in der Stadt erreicht hatte, nicht wieder an seinen Ausgangsort zurückfahren zu lassen, sondern ihn zunächst zum Bestandteil einer anderen Zuggruppe zu machen und deren Ziel ansteuern zu lassen (bspw. waren in den siebziger und achtziger Jahren die Ost-Zuggruppen B und H gekoppelt, wodurch die Züge insgesamt die Strecke Erkner - Friedrichstraße - Königs Wusterhausen - Friedrichstraße - Erkner befuhren).

Eine neue Dimension erreichte dieses Konzept mit der Wiedereröffnung des Ringes, der bis zum Mai 2006 nach dem sogenannten Schneckenkonzept befahren wurde. Während des Sommers 2002 waren zeitweise die Zuggruppen W, R, D, A, WI, RI, K und A I zu einer riesigen Einheit gekoppelt worden.

Bild: Zuggruppenbild 2

Einsatzzeiträume

Wie schon in der Definition geschrieben, hat jede Zuggruppe einen bestimmten Einsatzzeitraum. Dabei kann man grundsätzlich folgende (ungefähren) Tageszeiten unterscheiden:

Daraus ergeben sich folgende Gattungen von Zuggruppen:

Stammzuggruppen: Sie bilden das Rückgrat des S-Bahnbetriebs. Stammzuggruppen verkehren während der gesamten Tages- und Spätzeit, an Wochenenden teilweise auch im Nachtverkehr, dann jedoch nach einem separaten Fahrplan.

Tageszuggruppen: Diese verkehren während der gesamten Tageszeit, aber nicht im Spätverkehr. Während der verkehrsschwachen Vormittagszeit werden vereinzelt Tages- und Stammzuggruppen ausgedünnt oder fahren verkürzt.

Einsatzzuggruppen: Die Einsetzer verkehren nur zu einer bestimmten Tageszeit, welche klassischerweise die HVZ oder nur die Früh-HVZ ist (verkehrsreichste Stunde zwischen 7 und 8 Uhr). Seit Mitte der neunziger Jahre gibt es daneben auch Spät-Einsetzer, die mit solchen Fahrzeugtypen betrieben werden, die den Einsatz von Zweiwagenzügen ermöglichen.

Bedarfszuggruppen: Diese Züge verkehren nur dann, wenn auch entsprechender Bedarf für sie besteht. Der klassische Einsatzzweck von Bedarfszügen ist der Wochenend-Ausflugsverkehr, der ja sehr stark von den Wetterverhältnissen abhängig ist. Des Weiteren werden Bedarfszuggruppen bei Großveranstaltungen (z. B. Sportveranstaltungen im Olympiastadion) oder auch bei Betriebsstörungen eingesetzt. Für diese Art von Zuggruppen sind entsprechende Fahrplantrassen freigehalten.


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